Arbeitsprobe: Diplomarbeit: Vom Gelegenheitstrinken zum exzessiven Alkoholkonsum. Eine rekonstruktive Studie zu den Trinkgewohnheiten und dem Trinkverhalten 14 bis 18jähriger.

Erstellt von strosinhenderson vor 5 Jahren
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1.    Fragestellung und ZielsetzungIn der vorliegenden Arbeit werden die folgenden Fragen bearbeitet:

  • Wie rekonstruieren Jugendliche ihren Werdegang vom gelegentlichen Trinken zum exzessiven Alkoholkonsum?
  • Wie kann Soziale Arbeit als Profession Einfluss nehmen auf die jugendliche Trinkkarriere?

Dazu muss die Profession auf wissenschaftlich fundierte Informationen zurückgreifen können, in denen der Zusammenhang der Entstehung von Problemen und deren Lösung erforscht wird. Primär soll auf disziplinärer Ebene in der vorliegenden Arbeit Wissen über die Trinkgewohnheiten von Jugendlichen rekonstruiert und für die Profession bereitgestellt werden, um angemessene Maßnahmen planen und gestalten zu können. Indem Jugendliche selbst zu Wort kommen und in narrativen Interviews ihrem Werdegang des gelegentlichen Trinkens zum exzessiven Konsum rekonstruieren, können wichtige Impulse für die professionsbezogene Ebene und die Gestaltung präventiver Praxis gewonnen werden. 1.1.    Hinführung zum ThemaAusschlaggebend für das öffentliche Interesse am jugendlichen Alkoholgebrauch war der Tod eines 16jährigen Schülers, der 2007 an den Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums verstarb . In Deutschland war dies der Anlass, um intensiv über den problematischen Alkoholkonsum von Jugendlichen in den Medien zu berichten.Die Betrachtung des jugendlichen Alkoholkonsums erfordert eine Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Einbettung, auf die an dieser Stelle kurz eingegangen wird: Alkohol ist in fast allen westeuropäischen Ländern die legale Droge Nummer 1. Deutschland gehört zu den fünf führenden Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum (Vgl. RAITHEL 2004b, S. 28). Dies lässt sich daraus ableiten, dass Alkohol ein integraler Bestandteil auch der deutschen Kultur ist. Ob bei Geburtstagen, Taufen, Beerdigungen oder Hochzeiten – es gibt immer einen Anlass, zu dem in der deutschen Gesellschaft Alkohol getrunken wird. Das bedeutet, dass Alkohol für Kinder und Jugendliche Teil des Sozialisationsprozesses ist, mit dem sie sich während des Erwachsenwerdens auseinandersetzen müssen. In der Jugendphase werden generell neue Rollen erprobt, Grenzen getestet und neue Erfahrungen gemacht. Dazu gehört auch das Probieren von und das Experimentieren mit Alkohol (Vgl. HURRELMANN 1997, S. 211). Bereits seit Jahrzehnten wird der Alkoholkonsum Jugendlicher untersucht, um Aufschluss darüber zu geben, welche Entwicklungen stattgefunden haben. Die Ergebnisse werden einerseits genutzt, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu erweitern. Andererseits dienen sie als Grundlage für die Planung und Gestaltung suchtpräventiver Maßnahmen. Die derzeitigen präventiven Bemühungen zielen auf die Verringerung bzw. Vermeidung alkoholbedingter Schäden, um besondere Belastungen (erhöhtes Morbiditäts- und Sterblichkeitsrisiko , wirtschaftliche Belastungen) und Risiken (Abhängigkeit oder Unfallgefahr) zu minimieren. Das Forschungsziel der Arbeit besteht demnach darin, auf Grundlage der theoretisch-empirischen Auseinandersetzung mit dem hier fokussierten Gegenstand (Datenerhebung und Auswertung) für die professionelle Ebene zu transferieren und Vorschläge zu erarbeiten, die auf die Verringerung bzw. das Verhindern des problematischen jugendlichen Alkoholkonsums zielen. Somit handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um einen professionstheoretischen Ansatz, der für sich beansprucht, einen Theorie-Praxis-Transfer zu leisten.1.2.    Aufbau der ArbeitDa der Alkoholkonsum Jugendlicher insbesondere im letzten Jahr große Aufmerksamkeit in den Medien erfahren hat, wird unter Kapitel 2 ein kurzer Überblick gegeben. In Kapitel 3 steht im Fokus der Darstellung die Jugendphase, die unter den Bedingungen der Sozialisation und Einflussfaktoren auf den Umgang mit Alkohol dargestellt wird. Nachdem die Rahmenbedingungen aufgezeigt werden, wird die Funktionalität des jugendlichen Alkoholkonsums erörtert, um anschließend den Blick auf den Übergang vom „normalen“ Konsum zum problematischen Konsum zu richten. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung dieses Kapitels, bei der die wichtigsten Punkte noch einmal herausgestellt werden.Kapitel 4 beleuchtet den aktuellen Stand der Forschung. Ein erster Schwerpunkt bezieht sich auf die Entwicklung des jugendlichen Alkoholkonsums, der unter anderem von der BZgA, dem Robert-Koch-Institut, der WHO oder im ESPAD-Survey erhoben wurde. Weiter wird den Fragen nachgegangen, ob Alkopops eine spezielle Gefährdung für Jugendliche darstellen und ob generell in den Konsummustern Jugendlicher Unterschiede hinsichtlich Geschlecht, Schulform oder sozioökonomischen Bedingungen bestehen. Da sich die vorliegende Arbeit schwerpunktmäßig mit dem Thema des exzessiven Konsums beschäftigt, ist es notwendig das Thema „Binge Drinking“ (Rauschtrinken, englisch für Trinkgelage) zu beleuchten. Im Anschluss an die Explikationen und Reflektionen des ersten Teils, theoretische Grundlagen, beinhaltet der zweite Teil der Diplomarbeit den ausgewählten Forschungsprozess, der zunächst methodologisch in die Biographieforschung eingeordnet wird (Kapitel 5). Dieses Kapitel impliziert ebenfalls das Verlaufskurvenkonzept nach SCHÜTZE, das kurz eingeführt wird, um eine Grundlage für die spätere Auswertung zu bilden. Die Darstellung des methodischen Vorgehens erfolgt unter Kapitel 6, um die einzelnen Schritte der Studie offen zu legen. Dies beginnt zunächst mit der Einführung in den Zugang zum Forschungsfeld und die Auswahl der InterviewpartnerInnen. Daran anschließend wird das narrative Interview als Erhebungsverfahren erläutert, das in der Untersuchung Anwendung findet. Kapitel 7 befasst sich mit der Aufbereitung des Datenmaterials sowie der Narrationsanalyse, die die Auswertungsmethode der Studie bildet. Die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse erfolgt in Kapitel 8. Hier werden sowohl die individuellen Trinkgeschichten der Jugendlichen als auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse präsentiert, um wichtige Impulse für das abschließende Kapitel 9 (Die mögliche Einflussnahme Sozialer Arbeit auf die jugendliche Trinkkarriere) weiter zu geben. Diese beziehen sich insbesondere auf die sozial- und gesundheitspolitische Ebene, die Jugendlichen, Familie und Schule sowie Soziale Arbeit. Eine Übersicht der Ergebnisse aus dem Kapitel findet sich in einem bilanzierenden Schema wieder und bildet den Abschluss der Arbeit. Darstellung der theoretischen GrundlagenDie Darstellung der theoretischen Grundlagen bezieht sich zunächst auf die Präsenz des Themas in den Medien, die unter Kapitel 2 erörtert wird. Das Jugendalter als Phase des Experimentierens und Ausprobierens (Kapitel 3) umfasst die Erläuterung der wichtigsten Aspekte und Bestandteile der Jugendphase. Anschließend findet eine Darstellung der Ergebnisse aus verschiedenen Studien statt (Kapitel 4), die die Grundlage für den aktuellen Wissensstand bilden.2.    Ein kurzer Überblick über die mediale Präsenz Der Verlauf vom gelegentlichen Trinken zum exzessiven Konsum 14 bis 18jähriger stellt ein aktuelles soziales Phänomen dar, das in der vorliegenden Arbeit untersucht wird. Die Öffentlichkeit diskutiert intensiv über den Aspekt des absichtlichen Rauschtrinkens seit ein sechszehnjähriger Schüler infolge des übermäßigen Konsums von hochprozentigem Alkohol verstarb. Daher soll an dieser Stelle ein Überblick über die mediale Präsenz unter folgender Fragestellung gegeben werden:

  • Wie wird das Thema „Exzessiver Alkoholkonsum von Jugendlichen“ in den Medienrepräsentiert?

Die Grundlage des nachfolgenden Punktes bildet eine Auswahl von 19 Internetartikeln, Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen, die aus einer Fülle von Medienberichten ausgewählt wurden. Der Grund hierfür liegt darin, dass das Thema „Der übermäßige Alkoholkonsum von Jugendlichen“ seit Anfang 2007 sehr stark in den Medien präsentiert wird. Ein kurzer Überblick soll an dieser Stelle Auskunft darüber geben, welche Quellen ausgewählt wurden:

  • Internetseiten: www.drugcom.de, www.Bundesregierung.de
  • Zeitungen mit Internetpräsenz: Kölner Stadtanzeiger, Süddeutsche Zeitung
  • Zeitschriften mit Internetpräsenz: Focus, Spiegel, Stern
  • Zeitungsartikel: Trierischer Volksfreund
  • Fernsehen: Welt der Wunder, Das Erste/NDR

Was in wissenschaftlichen Artikeln als exzessiver Konsum bzw. „Binge Drinking“ beschrieben wird, erhält in fast der Hälfte der untersuchten Artikeln die Formulierung „Koma“ sowie den Aspekt des Trinkens „bis der Arzt kommt“ und damit einen Krankenhausaufenthalt impliziert. Der Aufbau der Artikel setzt sich aus einer Einführung in die Thematik und den anschließenden Expertenmeinungen zusammen. Teilweise wird die Expertenmeinung durch weitere Informationen abgerundet. Die Experten, auf die sich die Medien beziehen, sind breit gefächert: Vom Arzt über Suchtexperten bis hin zu Politikern. Medizinische Fachkräfte sind meist Ärzte von Kinder- und Jugendkliniken, deren Aussagen vor allem die gesundheitlichen Schädigungen sowie ihre Erfahrungen mit Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen betreffen. Nur zwei Experten, die sich mit Sucht dem Thema „Sucht“ beschäftigen, werden in den Medien nach einer Stellungnahme befragt: In einem Artikel des Kölner Stadtanzeigers , die Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin Kerstin Jüngling, sowie im Spiegel  der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen Rolf Hüllinghorst. Die Mehrheit der Stellungnahmen erfolgt von Drogenbeauftragten bzw. drogenpolitischen Sprechern einzelner Parteien (SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP). Die Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien ist relativ gering, dennoch werden Ergebnisse zum jugendlichen Alkoholkonsum Berichten des Statistischen Bundesamts  (keine Jahresangabe), der BZgA  (2004), des ESPAD-Survey  (keine Jahresangabe), der Shell Studie  (2006) und der Studie des UN-Hilfswerks Unicef  (keine Jahresangabe) entnommen. Es erfolgt keine Beschreibung der Studien, sodass nicht deutlich wird welches Ziel der Datenerhebung zugrunde lag, wer geforscht hat oder welches Alter erforscht wurde.Der exzessive Alkoholkonsum mit Todesfolge wird als Ausgangslage genommen, um das Interesse zu wecken. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf:

  • der Entwicklung des jugendlichen Alkoholkonsums sowie der damit verbundenen Alkoholvergiftungen4, 5, 8,  ,  , 13
  • Flatrate-Partys, die in Zusammenhang gebracht werden mit dem Tod eines Schülers8,  ,  , 13
  • der politischen Ebene und deren mögliche/unmögliche Einflussnahme (Jugendschutzgesetz, Verbote)8,9
  • den körperlichen Auswirkungen des Alkoholgebrauchs9  
  • den möglichen Folgen von Alkoholkonsum (Gewaltbereitschaft und Verkehrsunfälle sowie ungewollter bzw. ungeschützter Geschlechtsverkehr)6

Eine Einschätzung durch Jugendliche selbst fehlt, bis auf einen Artikel berieten und berichten lediglich Experten und Politiker. Lediglich in einem Artikel wird durch teilnehmende Beobachtung ein Einblick in die Realität gegeben, da ein Reporter Jugendliche bei deren Konsum begleitete . Insgesamt wird der Eindruck vermittelt, dass die Gesamtheit der Jugendlichen exzessive Alkoholkonsumenten sind, die mehrmals im Jahr mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Diese drastische Darstellung wird durch Expertenmeinungen und Datenerhebungen unterstrichen. Obwohl sie ein recht negatives Bild der heutigen Jugend übermitteln, spiegeln sie dennoch die öffentliche Sorge wider. Vorrangig sind die Feststellung eines Handlungsbedarfs sowie die Forderung nach politischen Maßnahmen, die den exzessiven Konsum verhindern sollen. Leider mangelt es an der Darstellung von Möglichkeiten, die über Gesetze und Verbote hinausgehen. Lediglich die Süddeutsche Zeitung bezieht sich auf das suchtpräventive Projekt „Hart am Limit“ der BZgA. Die Medien beschränken sich auf die Berichterstattung von teilweise dramatischen Vorfällen, ohne Hintergründe zu erwähnen. Ein wichtiger Aspekt, der in den Artikeln nicht berücksichtigt wird, ist das Jugendalter als eigenständige Phase, die durch spezifische Anforderungen gekennzeichnet ist. Diese Lücke gilt es zu schließen und im nächsten Kapitel theoretisch zu erörtern. 3.    Das Jugendalter als eigenständige Phase des Experimentierens und AusprobierensDie gesellschaftliche, kulturelle und soziale Dimension spielt für den jugendlichen Alkoholkonsum eine entscheidende Rolle. Kinder und Jugendliche wachsen in einer Gesellschaft auf, in der Alkoholgenuss ein integraler Bestandteil von Kultur ist. Dies zeigt sich vor allem auf Feierlichkeiten und Festen, die im familiären Rahmen stattfinden. Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt werden, dass der Alkoholkonsum einerseits Teil der Sozialisation und somit ein Lernprozess ist (Punkt 3.1). Andererseits kann der Gebrauch von Alkohol als eine altersspezifische Entwicklungsaufgabe zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr gesehen werden (Punkt 3.2), die jedoch nicht unproblematisch verlaufen kann (Punkt 3.3). Abschließend werden im Fazit die wichtigsten Aussagen aus Kapitel 2 zusammengefasst (Punkt 3.4).3.1.    Der Umgang mit Alkohol und seine Einflussfaktoren im SozialisationsprozessUnter diesem Punkt werden die folgenden Fragen beantwortet:

  • Wie ist der jugendliche Alkoholkonsum in den Sozialisationsprozess eingebettet?
  • Welche Faktoren sind ausschlaggebend für den Alkoholgebrauch?

Das Gesundheitsverhalten von Jugendlichen wird in der Regel nicht einzeln ausgebildet, sondern ist Teil eines umfassenden Sozialisationsprozesses, der in die Strukturen der Lebenswelt eingebunden ist. Mit Sozialisation ist hier, aus interaktionstheoretischer Perspektive, ein vom Individuum aktiver und beeinflusster Prozess, während dem es verschiedenartige Entwicklungsaufgaben löst (Vgl. STING/BLUM 2003, S. 54). Demnach werden im Kindes- und Jugendalter Verhaltensweisen erworben, festgelegt oder später wieder verworfen und sind somit ausschlaggebend für den späteren Lebensverlauf (Vgl. DHS 2008, S. 154; vgl. RICHTER/SETTERTOBULTE 2003, S. 100; vgl. PINQUART/SILBEREISEN 2004, S. 63).Nicht zu unterschätzen ist das Geselligkeitstrinken, das in unserer Gesellschaft eine außerordentliche Rolle spielt. Innerhalb von Riten (Familienfeiern wie Hochzeit, Firmung oder Geburtstag) ist der Genuss von Alkohol ein fester Bestandteil und kann zum Teil sogar als Selbstverständlichkeit aufgefasst werden. Kinder lernen demnach schon früh die soziale Bedeutung von Alkohol im Familienkreis und seinen vermeintlich positiven Auswirkungen kennen (Vgl. SETTERTOBULTE/HURRELMANN 2003, S. 11). In der Entwicklung zum Erwachsenenstatus wird die Auseinandersetzung mit Alkohol von Jugendlichen erwartet. Hier erfolgt erneut ein Lernprozess, der sich nun auf den konkreten Umgang mit Alkohol bezieht. In diesem Kontext bezieht sich der Lernprozess vor allem auf die Form des sozialen Lernens, bei der im Sozialisationsprozess, aufgrund von Beobachtung und Imitation, Verhaltensweisen erworben werden bzw. sich verändern (Vgl. SCHWENDTKE 1995, S. 411).Dieser Lernprozess vollzieht sich auf dem Hintergrund der kulturellen Selbstverständlichkeit des Trinkens (Vgl. SCHULZ 1990, S. 160). Lerntheoretisch bedeutet das, dass einerseits eine Verstärkung des Trinkverhaltens durch die physiologische Wirkung und den sozialen Folgen des Trinkens erfolgen kann. Andererseits können bestrafende Reize infolge eines Verhaltens verschwinden, und die Verstärkung des Trinkens erfolgt durch die Beseitigung von negativen Reizen in den unsicheren und angstbelasteten Situationen. Dennoch lässt sich nicht sagen, dass ausschließlich eine Verstärkung in allen Situationen stattfindet. Negative Konsequenzen aufgrund hohen sozialen Drucks oder normativer Kontrolle können ebenfalls einen Einfluss auf das Trinken oder die Alkoholmenge haben (Vgl. SCHULZ 1990, S. 161). In Zusammenhang mit der Gleichaltrigengruppe werden ein Lernprozess sowie die Auseinandersetzung mit normativen Überzeugungen deutlich. Es zeigt sich, dass sich ein direkter Einfluss über Modellernen und Imitation wie auch über direkten Gruppendruck ergibt, bei denen die gruppeninternen Normen bspw. über Häufigkeit des Konsums und Akzeptanz des Alkohols entscheiden und die Wahrscheinlichkeit zum Alkoholkonsum erhöhen (Vgl. STURZENHECKER 2001, S. 35; vgl. LEPPIN 2000, S. 70). Die hohe Bedeutung der Gleichaltrigengruppe wird anhand ihrer Funktionalität deutlich: Sie wirkt vermittelnd, fördernd, beschleunigend, drängt zurück oder verhindert bestimmte Verhaltensweisen (Vgl. ENGEL/HURRELMANN 1993,S. 12; vgl. RICHTER u.a. 2008, S. 215 f.). Die Integration in die Gruppe erfolgt oftmals über gemeinschaftliche Trinkgelegenheiten, die als Voraussetzung zur Aufnahme gelten können. Eine Alkoholabstinenz kann unter Umständen sogar zu sozialer Isolation führen. Oftmals bestehen die Gründe für den Einstieg im Gruppenzwang durch Gleichaltrige und vor allem in unsicheren Situationen, die das Selbstwertgefühl beeinträchtigen (Vgl. HURRELMANN 1997, S. 212; vgl. HURRELMANN/HESSE 1991, S. 242). Wie zuvor schon erwähnt, sind die familiären Bedingungen ebenfalls ausschlaggebend für die Entstehung von riskantem Trinkverhalten: Dies kann unter anderem den sozialen Abstieg der Familie, die jeweilige finanzielle Situation, Arbeitslosigkeit von Familienmitgliedern oder den elterlichen Erziehungsstil betreffen. Hinzu kommen häufig Störungen im Beziehungsgefüge einer Familie wie mangelnde Harmonie, ein hoher Grad an Konflikten oder dauerhafte Beziehungsstörungen. Die elterlichen Einstellungen oder intergenerationelle Ursachenfaktoren wie Alkoholismus bei den eigenen Eltern sowie die Verfügbarkeit von Alkohol spielen eine Rolle (Vgl. LEPPIN 2000 S. 68 f.). Demnach steigt die Attraktivität der Gleichaltrigengruppe, je mehr Widersprüchlichkeiten bzw. Brüche in normativen Regelungen erfolgen bzw. je geringer die stabile emotionale Verbindung im familiären oder nachbarschaftlichen Rahmen ist (Vgl. ENGEL/HURRELMANN 1993,S. 12).Dispositionelle, psychisch-emotionale Einflussfaktoren bei betroffenen Jugendlichen zeigen sich in Form von Ängstlichkeit, Verschlossenheit, Sensibilität, Verletzlichkeit, einer geringen Frustrationstoleranz, Impulsivität, emotionaler Labilität, geringem Selbstvertrauen, negativem Selbstbild, antisozialem Verhalten sowie aggressiven Tendenzen (Vgl. HURRELMANN 1997, S. 212; vgl. LEPPIN 2000, S. 75).In Bezug auf das Stresserleben kann Alkohol aufgrund seiner entspannenden Wirkung als Mittel zur Stressbewältigung fungieren, da Belastungen zu emotionaler Missbefindlichkeit führen (Vgl. LEPPIN 2000, S. 77). Aber nicht nur die Bewältigung von Stress, sondern vor allem die Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben wirken als Auslöser für den jugendlichen Alkoholkonsum, wie im nächsten Punkt zu sehen sein wird.3.2.    Alkoholkonsum als eine jugendtypische, funktionale Verhaltensweise

  • Welche Funktionen hat Alkohol im Jugendalter?
  • Kann Alkoholkonsum als eine jugendtypische Verhaltensweise begriffen werden, die durch Funktionalität gekennzeichnet ist?

Jugendliche müssen sich heute einerseits mit steigenden kollektiven, gesellschaftlichen Anforderungen auseinandersetzen, die sie andererseits jedoch individuell lösen müssen (Vgl. KOLIP 1997, S. 154). Das bezieht sich vor allem auf die private Auseinandersetzung mit den Unsicherheiten im Hinblick auf die Gestaltung der eigenen Zukunft, sodass Alkohol für Jugendliche als eine mögliche Alternative gesehen werden kann, um Frust abzubauen und den Leistungsdruck zu kompensieren.Weiter spielt das Erleben eine wichtige Rolle in der heutigen medial geprägten und ständig fortschreitenden (Erlebnis-) Gesellschaft. Das gemeinsame Trinken von Alkohol soll somit ein Gemeinschaftserlebnis konstruieren und bei der Suche nach grenzüberschreitenden, bewusstseinserweiternden Erfahrungen und Erlebnissen helfen (Vgl. HURRELMANN/SETTERTOBULTE 2003, S. 9; ENGEL/HURRELMANN 1993, S. 18). Die Integration in eine (Gleichaltrigen-) Gruppe als Handlungs- und Interaktionspartner führt zu einer Begleitung, Unterstützung sowie Entlastung von Entscheidungsdruck. Rauschrituale spielen in diesem Kontext eine große Rolle, da sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe erzeugen können oder als Selbstinitiation in eine Gruppe fungieren (Vgl. HOMFELDT/STING 2006, S. 121; vgl. PINQUART/SILBEREISEN 2004, S.64). In diesem (geschützten) Rahmen können Jugendliche sich auf die Erwachsenenwelt vorbereiten, indem sie neue soziale Rollen oder Verhaltensweisen ausprobieren sowie mit Alkohol experimentieren. Speziell im Jugendalter müssen verschiedenartige Entwicklungsaufgaben bewältigt werden: Die Ablösung von den Eltern, das Ausbilden einer eigenständigen und geschlechtlichen Identität, die Gestaltung des Übergangs zum Erwachsenenalter. Dieser Übergang zum Erwachsenenalter kann durch Alkohol symbolisiert werden (Vgl. SUTORIUS 1996, S. 106 f.; vgl. RAITHEL 2004a, S. 180; vgl. LEPPIN 2000, S. 64).Weitere Funktionen des Alkoholkonsums können sich, laut HURRELMANN und ENGEL, aus folgenden Aspekten ergeben:

  • bewusste Verletzung der elterlichen Kontrollvorstellungen
  • Sozialer Protest und gesellschaftliche Wertkritik
  • Symbol für die Teilhabe an subkulturellen Lebensstilen
  • Notfallreaktion auf heftige psychische und soziale Entwicklungsstörungen

(Vgl. HURRELMANN 1997, S. 211; vgl. ENGEL/HURRELMANN 1993, S. 18)Unter Betrachtung des geschlechtsspezifischen Aspektes wird deutlich, dass Mädchen und Jungen zum Teil aus unterschiedlichen Motiven Alkohol konsumieren (Vgl. STING/BLUM 2003, S. 54 ff.). Für junge Männer sind Rauschzustände eine Möglichkeit, um die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Hier hat der Alkoholgenuss eine psychoregulative Funktion (Vgl. STURZENHECKER 2001, S. 35). Mädchen sehen sich im Unterschied zu Jungen mit der Ausbildung einer weiblichen Identität konfrontiert, die sich insbesondere mit den Schwerpunkten Ehe, Kinder und Beruf befasst. Beide, Mädchen wie auch Jungen, versuchen durch den Konsum von Alkohol der Monotonie des Alltags und der Fremdbestimmung überwiegend am Wochenende oder in den Schulferien zu entkommen (Vgl. LANGE 2003a, S. 6).Es wird deutlich, dass das Jugendalter eine Vielfalt von Anforderungen impliziert und somit eine belastende Phase im Leben junger Menschen darstellt. Aufgrund der zielgerichteten aktiven Handlungsweise, die zur Befriedigung der entwicklungsbezogenen Bedürfnisse eingesetzt wird, fassen RICHTER und SETTERTOBULTE den Alkoholkonsum Jugendlicher als eine eigenständige Entwicklungsaufgabe auf (Vgl. RICHTER/ SETTERTOBULTE 2003, S. 102), die sie ebenso als Risikoverhalten beschreiben.3.3.     Vom jugendtypischen Verhalten zum RisikoverhaltenDer jugendliche Alkoholkonsum kann, wie im vorherigen Punkt beschrieben, als eine Verhaltensweise betrachtet werden, die für die Jugendphase typisch und mit Hilfe seiner Funktionalität erklärbar ist. Das bedeutet, dass Grenzüberschreitungen als „normal“ empfunden werden, da sie Teil des Jugendalters sind. Dennoch muss der Konsum legaler Drogen aufgrund seiner möglichen gesundheitlichen Schädigungen als eine spezifische und problematische Form der Lebensbewältigung interpretiert werden und damit als Risikoverhalten gelten.Zunächst kann Risikoverhalten nicht unter einzelnen Aspekten verstanden werden, sondern muss in seiner Gesamtheit gesehen werden. Den Hintergrund bildet immer das Jugendalter als eine schwierige Übergangsphase hin zum Erwachsenenalter (als eine belastende Phase), in der das Risikoverhalten einerseits als ein Risiko für die weitere Persönlichkeitsentwicklung sowie die soziale Integration steht. Andererseits dient es jedoch aus subjektiver Sicht der Bewältigung von Entwicklungsproblemen (Vgl. REIßIG 1999, S. 183). Risikoverhalten ist demnach immer auch Ausdruck einer mühevollen Auseinandersetzung der Jugendlichen mit Statuspassagen und ihren Anforderungen, das aufgrund seiner positiven Wirkungen eingegangen wird (Vgl. ENGEL/ HURELMANN 1993, S. 19). Die wichtigsten Aspekte jugendlichen Risikoverhaltens sind das Unsicherheits- und Schädigungspotential, letzteres beinhaltet die mögliche Schädigung gegenüber dem eigenen Leben oder der Umwelt (Vgl. RAITHEL 2004c, S. 25). Erfolgen keine unmittelbaren Schädigungen, so ist innerhalb eines kurz-, mittel- oder langfristigen Zeitraums die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen erhöht. Das soziale Umfeld beeinflusst maßgeblich, ob die Entscheidung zum Risikoverhalten nur vorübergehend ist, dieses Verhalten verhindert wird oder Risikoverhalten als Zuflucht fungiert (Vgl. ENGEL/HURRELMANN 1993, S. 12 f.). Problematisch wird der Alkoholkonsum, wenn er

  • sehr früh oder exzessiv einsetzt,
  • in Kombination mit anderen problematischen Verhaltensweisen auftritt,
  • ein Risiko für das Wohlergehen eines Menschen enthält (Sucht und Abhängigkeit)
  • zu einer unproduktiven, eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit blockierenden Form der Lebensbewältigung wird
  • gegen normativ-gesellschaftliche Vorgaben verstößt,

(Vgl. RICHTER/ SETTERTOBULTE 2003, S. 103; vgl. HURRELMANN 1997, S. 210).Auf den letzten Punkt wird an dieser Stelle noch einmal gesondert eingegangen, da die Verletzung normativer Vorgaben in Verbindung mit abweichendem Verhalten steht. So stellt sich hier die Frage, ob der jugendliche Alkoholkonsum ebenfalls eine deviante Verhaltensweise ist. Mit sozialer Abweichung ist, nach WENSIERSKI, zunächst die „gesellschaftliche Konstruktion eines spiralförmigen Sinnbildungsprozesses aus Normverletzung, sozialer Kontrolle und gesellschaftlicher Stigmatisierung“ (WENSIERSKI VON 1997, S. 90) gemeint. Bezieht man diesen Aspekt auf den Alkoholgebrauch in der Jugendphase, wird dann von deviantem Verhalten gesprochen, wenn die Betroffenen abweichend von gesellschaftlichen Vorgaben eine Rolle übernehmen und ausgestalten, die sie für eine begrenzte Dauer in ihr Selbstkonzept integrieren und ausleben (Vgl. BÖTTGER 2001, S. 70). Auslöser abweichenden Verhaltens können die Übernahme der Zuschreibung einer Opferrolle sowie soziale Benachteiligung bzw. Erniedrigung sein, denen entgegengewirkt werden soll. Ebenso kann der familiäre Rahmen und die dort vorherrschenden Normen als Belastung erlebt werden, sodass eine Abkehr hin zu Jugendgruppen stattfindet, die die gleichen Werte und Normen teilen. Zeigt sich die deviante Strategie erfolgreich, wird in Zukunft weiter darauf zurückgegriffen (Vgl. BÖTTGER 2001, S. 59 ff.). Diese Charakteristika scheinen alle mit den zuvor dargestellten Aspekten des jugendlichen Alkoholkonsums und seiner Funktionalität überein zu stimmen. Dennoch sollte eine explizitere Definition delinquenten Verhaltens nicht außer Acht gelassen werden. RAITHEL bezieht sich auf den Aspekt der kriminellen Handlung bzw. strafrechtliche Delikte, die ein wesentliches Kriterium bei der Bestimmung von delinquentem Verhalten sind (Vgl. RAITHEL 2004c, S. 40). Der Alkoholkonsum allein ist demnach keine deviante Verhaltensweise. Lediglich in Zusammenhang mit Gewalt oder dem nichtrechtmäßigen Kauf zu Alkohol wird die delinquente Komponente bedeutsam und gilt somit als deviant. 

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