Ausschnitt aus der Seminararbeit "Das Reinheitsgebot des Bieres in Bayern und seine verfassungsrechtliche Bedeutung"

Erstellt von AnnaWeinberg vor 9 Jahren
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I. Die Polizei – und Landesordnungen

In Deutschland enwickelt sich die Staatlichkeit nicht wie in anderen westeuropäischen Ländern auf zentraler, sondern föderativer Ebene.


Die Territorialstaaten erringen durch das ius terretori, manifestiert im Westfälischen Frieden, auch die Chance der Ausbildung einer modernen Verwaltung. Es erfolgt eine Entwicklung zur Normativität des öffentlichen Lebens, die in engem Zusammenhang mit der endgültigen Durchsetzung der Gesetzgebung zu verstehen ist.
Die Zwischen den Jahren 1450-1650 erfolgte eine Reformation des Rechts. Diese Reform des Rechts kann als Auseinandersetzung zwischen der heimischen Rechtstradition und dem gelehrten Recht verstanden werden. Eine Verschriftlichung der Normen erschien zunehmend erstrebenswert, da durch den Buchdruck Guttenbergs im Jahre 1450 eine Alphabetisierung der Bevölkerung langsam begann. Hauptgestaltungsmerkmal der Polizei – und Landesordnungen wurden die Rechtsgebote. Dies wird auf die im römisch-germanischen Rechtskreis herrschende Lehre zurückgeführt, nach der die Rechtsausordnung ausschließlich aus Imperativen bestehen kann, d.h. aus Normen, die festlegen, was unter bestimmten Voraussetzungen geschehen soll. Die Reformation des Rechts verstand man als Wiederherstellung der guten alten Ordnung. Leitmotiv für die Verwaltung und Rechtssetzung in Städten und Territorien galt seit dem Jahrhundert der Reformation die „gute Ordnung und policey“. Der Begriff der „policey“ entspricht weder dem uniformierten Polizeibeamten, noch dem Polizeibegriff des heutigen Verwaltungsrechts, der hierunter Staatstätigkeit versteht. Vielmehr bedeutet es alles obrigkeitliche Handeln in Gesetzgebung und Verwaltung, das zunehmend vom Bereich der Justiz abzugrenzen ist.
Der Begriff steht für das, was der mittelalterliche Sprachgebrauch als „gemeinen nutz und notturft“ bezeichnete. „policey“ entspringt dem lateinischen „politeria“ und bedeutet „die Verfassung des Stadtstaates, der „polis“ betreffend“. Erstmals trat der Begriff „Policey“ in Frankreich im 14. Jahrhundert auf. Die Schöffen von Reims forderten im Jahre 1360 vom König Schutz vor ihrem Herrn, dem Erzbischof von Reims. Sie begründeten ihr König sei ihr natürlicher, ursprünglich vom Volk legitimierter Herrscher, der sie zu verteidigen und zu schützen hat. Zum Auftrag des Königs zählten sie damals auch die Policey: „lequel prince fut aussy chargé de la deffence et protection de tout de le peuple, et de l’ordonnance, police et gouvernement. (Übersetzung: „Der Fürst ist auch mit der Verteidigung und dem Schutz des ganzen Volkes und den Verordnungen der Policey und der Regierung betraut.“) Woher allerdings die Schöffen den Begriff kannten, lässt sich nicht mehr klären.
Polizeiordnungen galten als Höhepunkt frühmoderner Gesetzgebung. Sie legten den Grund für den modernen Staat und enthalten zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei absolutistische Züge. Als neuartig galten ihre Normierungen, da Verstöße nicht lediglich mit Strafen bedacht wurden, sondern die Bürger eine tiefgehende Regelung ihres Alltages mit Ge- und Verboten erfuhren. Diese Rechtsgebote waren sehr detailliert und reichhaltig.
Die Notwendigkeit der Polizeiordnungen wird deutlich, wenn man die Ereignisse dieser Zeit umfassend betrachtet. Die Grundversorgung der Bürger wurde immer teurer, da die Grundnahrungsmittelpreise weiter anstiegen, obwohl die Löhne stagnierten. Der große soziale Unterschied zwischen der armen und reichen Bevölkerung wuchs stetig. Aufruhr und Revolten regierten den Alltag. Die altständische Ordnung befand sich in einer Krise und wurde mit sozialen und wirtschaftlichen Problematiken konfrontiert, die sie nicht mehr zu lösen vermag. Das Lehensystem und das mit ihm verbundene gegenseitige Treueverhältnis hat sich nachteilig für die einfache Bevölkerung entwickelt. Die Pflichten gegenüber ihrem Grundherren wurden zunehmend als unsozialer und belastender wahrgenommen, während hingegen die Gegenleistungen, also Schutz und Schirm, nachließen. Der Höhepunkt der Spannungen erfolgte durch den Bauernkrieg 1525. Darüber hinaus zerfiel die Universalkirche und Protestanten und Katholiken bekämpften aneinander. Die gottgegebene Ordnung drohte sich aufzulösen. Erst der Augsburger Religionsfrieden im Jahre 1555 beendete diese Teilung. Von einer „guten policey“ wurden sich Frieden, Ruhe und Harmonisierung erhofft.
Zusammenfassend sprach man in Fortschreibung der „Politik“ (politeia) des Aristoteles von der Notwendigkeit einer „guten Polizei“.
Durch diese Ordnungen erwirbt die Obrigkeit moralische Autorität, denn sie erhob den Anspruch den Untertanen zu sagen was sie tun dürfen und was nicht. Somit manifestiert sich ein neues fürstliches Selbstbewusstsein durch Gesetze auf die Bürger – und Bürgerinnen einzuwirken.
Es herrschte noch keine strikte Trennung von öffentlichem und privatem Recht wie in unserer heutigen Rechtsordnung. Durch die Polizeiordnungen wurde auf unterschiedlichste Weise in den Alltag der Bevölkerung eingegriffen. So wurden durch sie unter anderem die öffentliche Sittlichkeit, das Gesundheitswesen, Kommerz, Handwerk, Löhne und Höchstpreise, Gewerbe, sowie Gerichts – und Prozessordnungen normiert. So dienten beispielsweise Hochzeit- und Begräbnisordnungen dazu, dass sich keiner über seinen eigenen Stand erhebt. Die Normen waren oft sehr reichhaltig. So schrieben die Hochzeitsordnungen vor wie viele Teller, Schüsseln man in einem Stand reichen durfte und wie viele Gäste und Musikanten erlaubt waren. Auch wurde geregelt wann welcher Wein gereicht werden durfte. So wurde bei Gratulanten zu einer Geburt nur Frankenwein gereicht, bei einer Taufe hingegen waren nur Lebkuchen erlaubt. Diese Reichhaltigkeit wird jedoch auch teilweise unter dem Begriff der „Regelungswut“ kritisiert.
Als beispielhaft für Normen, die die Öffentlichkeit regelten, kann die umfassend geregelte Wirtshauspolicey angeführt werden. Wirtshäusern kam seit dem Ende des Mittelalters eine wichtige Bedeutung zu. Sie galten zunehmend als Treffpunkte für Menschen unterschiedlicher sozialer Hintegründe, sowohl für Einheimische als auch Zugereiste. Darüberhinaus war es meist auch Frauen gestattet sie zu besuchen. Daher übernahmen sie neben den offkundigen Dienstleistungsfunktionen wie Essen, Trinken, Unterkunft und geselligem Zeitvertreib auch die Aufgabe als Bühne für Feste und Feiern, als Informationsforum für Gerüchte und Meinungsbildungen und der Pflege von Geschäftskontakten und letztendlich auch als Arbeitsmarkt.
Durch ihre florierende Wirtschaft wuchs die Dichte an Wirtshäusern stetig. Ende des 18. Jahrhunderts kamen in Bern auf eine Kneipe etwa 300 Einwohner. In manchen Dörfern waren es sogar nur 78. Daher stieg auch der Alkoholkonsum, mit dem Gefahren für die öffentliche Ordnung verbunden waren. Mithin waren etwa in Köln 20 % aller verbalen und physischen Angriffe auf Alkoholeinfluss zurückzuführen. In Frankfurt betrug der Anteil an Gewaltdelikten sogar ein Drittel.
Dieser negativen Entwicklung sollen entsprechende Policeyordnungen entgegen wirken. Hierbei umfassten diese verschiedenste Wirtschaftsbereiche. Etwa wurde die Herstellung, Qualität und sogar Einfuhr von alkoholischen Getränken wie Bier kontrolliert. Hiermit verbunden war eine Erleichterung zur Erhebung der Alkoholsteuer, welche als eine wichtige Einnahmequelle für die Städte galt. Darüber hinaus wurde die Produktion und der Ausschank von Alkohol als ein Privileg verstanden, das hauptsächlich einem exklusiven Personenkreis vorenthalten war. Zudem wurden durch die Ordnungen in die Trinkgewohnheiten eingegriffen, indem die erlaubte Ausschangsmenge an Alkohol limitiert wurde und Tanz und Glücksspiel, sowie die Sitte des „Zutrinkens“ verboten wurden. Schließlich waren noch die Öffnungszeiten, meist bis 22 Uhr außer an Sonn- und Feiertagen und während Gottesdiensten, policeylich geregelt. Nichtsdestotrotz war es nun aber möglich Streitigkeiten, etwa wegen Zechprellerei, policeygerichtlich zu klären.
Teilweise waren die Normen aber auch schon sehr fortschrittlich, wie in etwa die Mängelhaftung des Verkäufers. Zwar war diese im Privatrecht verankert, wurde jedoch durch die Polizeiordnung ergänzt. So wurden für einige Lebensmittel feste Preise festgeschrieben oder gar Zwischenhandel verboten. Der Kauf von Luxusgütern sowie die Ausfuhr von Mangelwaren wurden den Verkäufern untersagt. Darüber hinaus gab es für bestimmte Verkäufer Anbietungspflichten oder Abschlusszwänge. Diese Regelungen waren für ihre Zeit sehr fortschrittlich und können als richtungsweisend für den später immer wichtiger werdenden Verbraucherschutz genannt werden.
Die Anzahl der Policeyordnungen stieg stetig. Beispielsweise gab es in Schlesien 1450 gerade einmal sechs Verordnungen. Bis 1500 wurden es 29, der Höhepunkt wurde mit 338 erlassenen Verordnungen gegen 1600 erreicht. Noch deutlicher zeigt sich der Anstieg im Kurfürstentum Köln. Von 18 Verordnungen im Jahre 1600 stieg die Zahll im 17. Jahrhundert auf 190 und bis ins 18. Jahrhundert auf über 1000 an.
Diese Normierungen waren nun schriftlich verankert, doch sie musste erst einmal im Alltag des Staates durchgesetzt werden.

Abhängig von der Region existierten es seit dem 16. Jahrhundert so genannte Frevel-, Vogt- und Rügegerichte. Die Gerichtsverfahren liefen nach einem festen Muster ab: Die Gerichte kamen in regelmäßigen Abständen zu festen Zeiten zusammen. Aufgrund ihres hres Treueides gegenüber dem Fürsten waren die Bürgerinnen – und Bürger dazu verpflichtet beobachtete Vergehen zu melden. Um dies möglichst effektiv zu gestalten wurden bereits Tage vor der Durchführung der Gerichtsverfahren ein „Laster- und Rugzettel“ verlesen, der die landesrechtlichen Normen beinhaltete und so die Untertanten an zu beanstandende Delikte erinnern sollte. Zudem wurde die Möglichkeit dazu genutzt die Normen der Bevölkerung in das Gedächtnis zu rufen und sie möglichst einfach zu erklären. Allerdings beschränkte sich die Zuständigkeit der Gerichte auf leichte Delikte, die nur mit geringen Strafen geahndet wurden. Privatrechtliche Streitigkeit sowie schwere Verbrechen wurden an ordentliche Gerichte oder Kollegien abgegeben. Die Gerichte versuchten möglichst schnell auf eine Anzeige zu reagieren. So wurde meist an Ort und Stelle mit der Beweisaufnahme und Zeugenbefragungen angefangen und der Beschuldigte angehört. Das Hinzuziehen eines Anwaltes war allerdings unzulässig. Verurteilte wurden nicht mit Prozesskosten belastet..

Allerdings wurden für die Kontrolle der Einhaltung der Normen neben der Justiz ebenso Policeybeauftragte benötigt, die Verstöße ahndeten. Die Ämter waren vielzählig. So gab es beispielsweise Brotbeseher, Feuerbeschauer, Fleischwälzer, Messner, Stadtknechte, Mauerwächter, Turmbläser, Torwächter, Gassenwächter, Pfänder, Marktmeister, Bettelmeister, Torsperrer und Nachtwächter.
Aber bedeutete die Ämterfülle nicht automatisch eine Effektivität der Durchsetzung. Die Normierungen des Alltages waren so zahlreich, dass sich die Durchsetzung als kompliziert erwies. Als Beispiel sei hier die Luxuspolicey zu nennen. Der Nachweis wie viel Alkohol auf Festen ausgeschenkt wurde oder welche Geschenke gemacht wurden gestaltete sich als impraktikabel. Darüber hinaus konnten private Feiern kaum kontrolliert wurden oder die Besucher sprachen sich gezielt ab, um sich zu schützen. Bei einer Verurteilung war das Strafmaß meistens milde und lag deutlich unter dem vorgesehenen Strafmaß, wobei ohnehin Freisprüche überwogen. Zudem wurden die Policeybeauftragen großenteils auch aus dem Kreis der Untertanen rekrutiert und sympathisierten mit der Bevölkerung. Meist überwog auch die Angst von Freunden und Angehörigen als „Verräter“ angesehen zu werden und deren Hilfe und Unterstützung im Alltag zu verlieren. Meist hielten sie sich selbst kaum an alle policeyliche Regelungen.
Des Weiteren stießen nicht alle Policeyordnungen auf das Verständnis der Bevölkerung. Beobachten ließ sich das vor allem auf dem Land, falls etwa traditionelle Trink- und Feiergewohnheiten verboten wurden. Konträr hierzu verhielt es sich, wenn Ge – und Verbote mit eigenen Interessen übereinstimmten. So wurden beispielsweise feuerpoliceyliche Verordnungen durchaus beachtet und zur Anzeige gebracht, war die Gefahr von Bränden aufgrund der damaligen Wohnverhältnisse und Bauweisen doch sehr hoch. Ebenso geahndet wurden wirtschaftliche Verordnungen, die Qualitätskontrollen und das eigene Wohlergehen betrafen.
Zudem herrschte zwar eine Fülle von Ämtern, jedoch mangelte es in einigen Städten an ausreichend Polizeidienern. So verfügte z.B. Nürnberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts über einen Polizisten auf 417 Einwohner, was etwa heutigen Verhältnissen entspricht. Bordeaux kam auf einen auf 1000 Einwohner und Köln, mit gleich vielen Einwohnern, auf gerade mal einen auf 4000 Einwohnern. Die meisten Gesetzgeber waren sich dieser Problematik durchaus bewusst. Daraus entwickelte sich die Anzeigepflicht für Untertanen. Das Unterlassen wird aus heutiger Sicht als passiver Widerstand gewertet. Dem gegenüber kam es auch zu aktivem Widerstand, der sich in gewaltsamen Übergriffen auf Polizeidiener äußerte.

All diese Probleme gab es auch bei der Durchsetzung der oben genannten Beispielsnormen. In Hannover gab es in 30 Jahren von 1629 bis 1659 gerade einmal 62 Strafverfahren und Geldbußen wegen Verstößen gegen die Kleiderordnung. In Bayern wurde, wohl aus genanntem Personalmangel, sogar das Militär mit der Überwachung der Kleidung beauftragt. Ebenso selten kam es zu Anzeigen der Wirte, die für die Einhaltung der Wirtshauspolicey verantwortlich waren, wenn Gäste die Sperrstunden nicht einhielten oder Widerstand gegen das Zapfverbot leisteten. Zum einen hatten die Wirte Angst um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien. Zum anderen sorgten sie sich um wirtschaftliche Einbußen, wenn sie ihrer Anzeigepflicht nachkamen und eigene Gäste denunzierten.

Insgesamt gestaltete sich also die Durchsetzung der Policeynormen als äußerst schwierig und war nicht besonders effektiv.
Eine klare Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht existierte noch nicht. Allerdings lassen sich drei wesentliche Typen von Ordnungen unterscheiden: Auf der einen Seite stehen seit dem 16. Jahrhundert die meist einheitlichen Landesordnungen, die Polizei- , Forst-, Hochzeits- , Gesinde. , Kleider und ähnliche Ordnungen regelt. Des Weiteren gibt es (Hof)-Gerichtsordnungen, die einerseites Gerichtsordnungen und auf der anderen Seite auch Zivilprozessrecht umfassen. Und schließlich gibt es Landrechte, die sich maßgeblich auf das materielle Zivilrecht fokussieren. Zwar ist dieses fürstliche Rechtsgebot zum Symbol dieser Zeit, doch das Verständnis für die Gesetzgebung löst sich nur langsam von den Vorstellungen des Mittelalters.

Bis in das 18. Jahrhundert hinein blieben Landes – und Polizeiordnungen die Hauptform der Gesetzgebung.

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