Bildungstheorie, Beruf und Universität

 

Die theoretische Konzeptionalisierung des Bildungsbegriffs ist in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft, der Beginn des technisch-industriellen Zeitalters und der bewusstseinsgeschichtliche Wandel haben zur Formierung von Bildungstheorien beigetragen. Der Mensch wird in seiner Individualität wahrgenommen, die sich im Bildungsprozess ausformen soll. Die beginnende Industrialisierung der Gesellschaft verändert die Arbeitswelt und deren Ansprüche an die Bildung ihrer Mitglieder. Die Säkularisierung der Gesellschaft und des individuellen Bewusstseins ermöglicht dem Menschen, sich als selbstbestimmt wahrzunehmen und nach Bildung zu streben.

Erstellt von kronenwaechter vor 11 Jahren
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(Vgl. Klafki, Wolfgang, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim / Basel 2007 (6)17f.)

Das Wort „Bildung“ besitzt tiefere historische Wurzeln und geht wohl auf den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart zurück. Aber erst in der Moderne entsteht ein reflexiver und somit theoretisierbarer Bildungsbegriff. Reflexivität bedeutet, dass Bildungsimpulse vom Individuum nicht lediglich passiv aufgenommen werden. Vielmehr setzt es die Bildungsinhalte zu sich selbst in Beziehung, wodurch eine Beziehung zwischen seiner Innenwelt und seiner Umwelt entsteht.

Des weiteren ist die transitive von der intransitiven Dimension des Bildungsbegriffs zu unterscheiden. Transitive Bildung meint, dass der Bildungsvorgang „von außen“ an das Individuum herangetragen wird. Aber Bildung bedeutet auch eigene Aktivität des Individuums, wie es schon im Sprachgebrauch von „sich bilden“ zum Ausdruck kommt.

(Vgl. Sesink, Werner, Bildungstheorie. Vorlesungsskript, Darmstadt 2006, 15-23. Als PDF: http://www.abpaed.tu-darmstadt.de/media/arbeitsbereich_bildung_und_technik/gesammelteskripte/bth_2006_kompl.pdf)

 

Beruf

 

Die Veränderung der Arbeitswelt hat zu einer Bedeutungsanreicherung des Berufsbegriffs geführt. Die semantische Aufladung des Berufs wurde beispielhaft von dem Soziologen Max Weber in seiner Studie über die „Protestantische Ethik“ beschrieben. Die Tätigkeit des Menschen richtete sich nach Weber seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr allein aufs Jenseits, sondern nahm innerweltliche Züge an. Die Vorstellung des „Berufs“ bedeutete in diesem Kontext mehr als eine bloße Tätigkeit, um den eigenen Unterhalt und den der Familie zu bestreiten. Ähnlich der „Berufung“ war er eine Form der Selbstkonditionierung, welche die Berufsarbeit als sinnhaft, weil gottgefällig erscheinen ließ und den Arbeitenden motivierte.

(Weber, Max, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, erstmals 1904/05)

Beschrieb Weber noch eine Gesellschaft, die stark von religiösen Imperativen geprägt war, müssen für die Gegenwart andere Ansätze gefunden werden, welche die Stabilität oder Erosion des Berufskonzepts erklären. So kann der Beruf beziehungsweise die Berufsarbeit als ein Sozialisationsprozess im doppelten Sinne aufgefasst werden. Zum einen kann dieser Prozess bedeuten, sich für einen Beruf zu qualifizieren (etwa in Ausbildungsstätten) . Zum anderen sozialisiert sich das Individuum durch den Beruf, indem zum Beispiel der Karriereweg seine Persönlichkeit formt und sich auf seine sozialen Kontakt auswirkt.

(Heinz, Walter R., Arbeit, Beruf und Lebenslauf. Eine Einführung in die berufliche Sozialisation, München 1995, 12)

 

Bildungstheorie und berufliche Bildung

 

Eine Synthese der Bildungstheorie mit der Konzeption des Berufs hat im 19. Jahrhundert Wilhelm von Humboldt angestrebt. Hintergrund seiner Überlegungen war die Niederlage Preußens gegen Napoleon und die hieraus entsprungene Erkenntnis, den preußischen Staat reformieren zu müssen. Die von ihm initiierten Bildungsreformen gipfelten 1810 in der Gründung der Berliner Universität.

Sein Bildungskonzept war von den idealistischen Leitideen der Einheit von Forschung und Lehre und dem Studium in „Einsamkeit und Freiheit“ geprägt. Die wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten sollte zu keiner spezialisierten Berufsausbildung führen, sondern ihren Besucher zur Vervollkommnung seiner Persönlichkeit und zu dem ihm angemessenen Beruf als Platz in der Gesellschaft führen.

(Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, Darmstadt 1956, 375-386)

Die hier skizzenhaft angedeuteten bildungstheoretischen Grundsätze lassen sich hinsichtlich ihrer Bedeutung für die berufliche Bildung folgendermaßen zusammenfassen.

Berufliche Bildung erstreckt sich nicht allein auf fachliche Spezialisierung. Sie ist ein Sozialisationsprozess, der das Individuum selbst und sein Verhältnis zur Umwelt verändert. Ziel der beruflichen Bildung ist nicht allein der Erwerb eines Bildungsabschlusses, sondern erstens das Erlernen einer gesellschaftlichen Rolle und zweitens die Ausbildung einer allgemeinen neben der fachspezifischen Qualifikation.

 

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