Die strategische Metapher

Metaphern geben die Möglichkeit, einprägsamer, anschaulicher, klarer zu reden als es umständliche begriffliche Umschreibung kann; die "Überbetonung einer Nuance" kann den "Bereich des Sagbaren" erstaunlich erweitern. In diesem Sinne charakterisiert Jüngel Metaphern als eine Art Verfremdungseffekt, der dadurch entsteht, dass die Sprache einen Sachverhalt ungewöhnlich bzw. anders als üblich beschreibt.

Erstellt von Svenson vor 7 Jahren
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Diese Verfremdung dient dialektisch betrachtet der "Erweiterung der vertrauten Welt". Platon dieweil war Dichtung und Metaphern gegenüber kritisch eingestellt, weil sie seiner Ansicht nach den Blick auf 'das Wahre' verfälschten - aus der Perspektive heutiger linguistischer Metaphernforschung eine gleichermaßen weitsichtige wie unhaltbare Ansicht. Seit die Metapher nicht mehr bloß als rhetorischer Tropus wahrgenommen wird, sondern zum Gegenstand auch linguistischer und philosophischer Untersuchungen geworden ist, stellt sich zunehmend die Frage nicht nur nach ihrer rhetorischen Erscheinung, sondern auch nach ihrer erkenntnisstiftenden Wirkung. Die Linguisten George Lakoff und Mark Johnson haben in ihrem Buch "Metaphors We Live By" herausgestellt, wie Metaphern die menschliche Weltwahrnehmung formen. Sie folgen damit der Annahme Wilhelm v. Humboldts, dass Sprache nicht die eine und einzige Wirklichkeit abbilde, sondern ihrerseits ein Instrument sei, um die Welt zu gliedern und zu deuten: Sprache richtet die Wirklichkeit inhaltlich ein.

Für Lakoff und Johnson, ihres Zeichens Koryphäen der kognitiven Wende, ist der menschliche Geist nichts Universelles (nicht disembodied), sondern ein körpergebundenes Organ, das seine Umwelt ebensogut anders wahrnehmen könnte; Bewusstsein betrachten sie als eine Gehirnaktivität und Metaphern als kognitive Muster, mit denen Menschen ihre Sinneseindrücke gliedern und sprachlich verwertbar machen. Sie widmen ihre Aufmerksamkeit den Metaphern "mit denen wir leben", nämlich solchen, die die Welt in der menschlichen Wahrnehmung ordnen, und postulieren für diesen Ansatz die konzeptuelle Metapher. Eine konzeptuelle Metapher ist eine Art Proposition für metaphorische Ausdrücke; zu einer einzelnen konzeptuellen Metapher gehört die Menge alle metaphorischen Ausdrücke, die auf die gleichen Bildspender und –empfänger zurückgreifen.

Ein Beispiel dafür ist etwa das Metaphernkonzept THEORIEN = GEBÄUDE; es wird aber nicht verwendet, indem man bloß sagt: Eine Theorie ist ein Gebäude. Vielmehr werden Theorien, ihrerseits abstrakte Vorstellungen, begreifbar gemacht, indem man über sie spricht wie über Gebäude, über materielle Dinge, wie wenn Ulrich einem "Lehrgebäude" ein "schützendes Dach" zuschreibt. Die Konzepte GEBÄUDE und THEORIE haben ein tertium comparationis: Eine 'Erfahrungsbasis' verknüpft den Bildspender mit dem Bildempfänger. Einige Aspekte der beiden Konzepte ähneln sich (beides wird planvoll gebaut und soll dann möglichst stabil sein), und so werden die Eigenschaften des konkreten Bildspenders benutzt, um das Wesen des abstrakten Bildempfängers anschaulich zu machen; bzw. Muster der Weltwahrnehmung werden benutzt, um abstrakte Denkschemata zu generieren. Black beschreibt, dass dieser Vorgang durchaus Einfluss nimmt auf die beiden Bildglieder. Wenn Metaphern - wie es übrigens auch Modelle tun - zwei verschiedenen Bereiche bzw. Strukturen verbinden, dabei kommt es zur 'Interaktion', zu einer Durchdringung beider Bereiche, die also "nicht mehr bleiben, was sie einzeln waren, sondern ein neues Ganzes bilden." Diese Konzepte gliedern somit das, was wir aufnehmen; und wir sprechen (andersherum betrachtet) über Dinge so, wie wir sie erleben: Indem wir über etwas sprechen wie über etwas anderes, nehmen wir es auch als etwas anderes wahr. Metaphern können demzufolge die Wirklichkeit definieren, indem sie manche Facetten der Wirklichkeit hervorheben ("to highlight"), andere dagegen verschweigen bzw. in den Hintergrund treten lassen. Die Metapher wird wahr, indem wir sie akzeptieren. Insbesondere wird die konzeptuelle Metapher nicht verwendet, um Dinge durch andere Dinge auszudrücken, sondern "for trying to comprehend partially what cannot be comprehended totally", sie ist also ein Werkzeug der Hypostasierung und verdinglicht als solches Abstrakta - mithin: Gefühle, Ästhetik, Moral, Metaphysisches, Transzendentes.

Entscheidend ist bei Lakoffs und Johnsons Metapherntheorie die Beobachtung, dass die metaphorischen Konzepte durchaus arbiträr bzw. kulturabhängig sind. Ulrichs Geistesblitz für seinen Aufsatz, von dem er mehr "geblendet wurde, als daß er sah", zeigt die Uneindeutigkeit von Metaphorik auf: Obwohl Licht in der abendländischen Kultur gemeinhin als Sinnbild der Wahrheit und der Erkenntnis gilt, können die Eigenschaften, die Licht im physikalischen Sinne hat, dem Sinn des Konzepts LICHT = WAHRHEIT zuwiderlaufen. In der Lichtmetaphorik werden diese Aspekte dann dementsprechend nicht, mit Lakoff zu sprechen, 'gehighlightet' - Licht kann aber, wenn man möchte, durchaus nicht nur Sinnbild für Wahrheit und Erkenntnis sein, sondern auch für Blendung, also gerade Behinderung des klaren Sehens. Musil erkennt diese Doppeldeutigkeit und beschreibt damit gewissermaßen das Problem, das er wenig später aufgreift, wenn Ulrich und Walter in ihren Jugendjahren um der Behauptung willen behaupten: "So viel stärker war in der Jugend der Trieb, selbst zu leuchten, als der, im Lichte zu sehen". Ein Bildspender in einem metaphorischen Konzept kann also durchaus mit anderen Empfängern belegt werden als üblich; Metaphern sind also durchaus nicht universell gültig, vielmehr sind sogar vice versa kulturelle Werte von den Vorstellungen abhängig, die die metaphorischen Konzepte einer Sprache hervorrufen.

Zwei Menschen, die über das gleiche Gemeinte in unterschiedlichen metaphorischen Konzepten sprechen, haben in der Tat unterschiedliche Auffassungen vom Gemeinten. Das liegt daran, dass hier der Bildempfänger sozusagen 'umgangen' wird. Wenn etwa die Rede ist vom 'schlagenden Argument' (also über eine Erörterung gesprochen wird wie über einen Kampf), dann entsteht folgendes Problem: "Wollte man diese Metaphern rückübersetzen in wörtliche Ausdrücke, so käme man häufig in Schwierigkeiten mit der Wahl einer angemessenen Vokabel"; so ist die Perspektive, die durch die Metapher ermöglicht wird, nicht bloß ausschmückend, sondern "Mittel zu Kategorisierung und Erkenntnisgewinn". Metaphern sind also unter diesem Gesichtspunkt, um es mit Liedtke auszudrücken, "sich sprachlich manifestierende nichtsprachliche Phänomene", gewissermaßen eine kommunizierbar gewordene Darstellungsform geistiger Ordnungsschemata. Die Metapher hat so betrachtet ihren Weg in die Sprache gefunden, weil die Sprache (wie auch der Mythos) eine geistige Bearbeitung, eine Steigerung der einfachen Sinnesanschauung ist. Metaphorische Denkformen sind heute, wo der Mythos als vorrationales Relikt kein Recht mehr besitzt, in der begrifflichen Denkform aufgehoben.

Bis hierher sind Metaphern kulturell gewachsene Denkmuster, die für die Weltwahrnehmung so unverzichtbar sind wie einflussreich - aber eben unbewusst entstanden, und die ebenso unbewusst auch verwendet werden. Lakoff und Johnson bemerken dabei sehr wohl, dass gerade auch die Benutzung von konzeptuellen Metaphern in der Öffentlichkeit, namentlich der Politik (ENERGIEVERSORGUNG = KRIEG) direkten Einfluss auf die Weltwahrnehmung nimmt und weisen auf das Risiko hin, mit metaphorischen Konzepten aus politischen Diskursen unangezweifelt und unbewusst womöglich fragwürdige Weltansichten zu übernehmen. Die Erkenntnis, dass Sprache unbewusst für den Sprecher die Weltdeutung festlegt, führt jedoch unmittelbar zu dem Schluss, dass bewusst eingesetzte Sprache die Weltdeutung anderer gezielt festlegen kann, um einen "Kommunikationszweck" zu verfolgen, wie Dieter Flader sich ausdrückt. Diese Funktion der Metapher, eine absichtsvolle Lenkung der Wahrnehmung zu bewerkstelligen, möchte ich als strategische Metapher bezeichnen. Dieses Phänomen ist linguistisch keineswegs ein unbestelltes Feld, jedoch mangelt es hier meines Wissens an umfassenden Untersuchungen. Lakoff und Johnson etwa beharren darauf, nur konventionelle Metaphern für ihre Theorie gelten zu lassen, und vernachlässigen die Bedeutung von neologistischen Metaphernkonzepten sträflich. Strategische Metaphern finden sich keineswegs nur in öffentlichen Diskursen wie Politik und Werbung, sind dort aber ein bedeutsamer Bestandteil und vorzüglich auch in diesem Zusammenhang untersucht worden.

Flader bringt die strategische Funktion von Sprache recht drastisch auf den Punkt: "Manipulation durch Sprache" ist "das Phänomen, daß Individuen durch sprachliche Kommunikation in ihrem Verhalten gelenkt werden können, ohne daß ihnen Verlauf, Bedingungen und Ziele der sprachlichen Beeinflussung bewußt werden", ja, er unterstellt ihr gar "gezielte Ansprache" von "Vorurteilsbereitschaft". Er bezieht sich damit speziell auf Werbung, aber auch auf politischer Ebene werde Sprache bewusst eingesetzt, etwa um die "Einsicht in die politischen Machtverhältnisse" zu erschweren.

Politik ist für die meisten Bürger nichts, das sie selbst unmittelbar erfahren und erleben, sondern ein inszenierter und vorgedeuteter Ausschnitt, den sie in der Regel über die Medien vermittelt bekommen. Wolfgang Bergem beschreibt diesen Ausschnitt als eine Realitätsverdichtung zwecks besserer Konsumierfähigkeit; Musil erkennt hier die metapherntypische Unschärfe als 'Rückseite' der Verdichtung, wenn der Erzähler vermutet: "Vielleicht beflügelt eine gewisse Ungenauigkeit und Gleichishaftigkeit, bei der man weniger an die Wirklichkeit denkt als sonst, nicht nur das Gefühl des Grafen Leinsdorf. Denn Ungenauigkeit hat eine erhebende und vergrößernde Kraft." Die komplexen Zusammenhänge der Wirklichkeit werden also immer, um schnelleren Verständnisses willen, verkürzt und verundeutlicht ('ent-detailliert') - und dazu dient die Metapher. "Politische Metaphern, Symbole und Denkbilder sind das tragende Material für die konkrete Abbildung der abstrakten und komplexen politischen Wirklichkeit in politischen Deutungscodes, die den politischen Akteuren als Darstellungs- und Steuerungsinstrument dienen. Topoi und Symbolbegriffe wirken eher emotional als rational, sie appellieren eher an Unbewußtes als an Bewußtes, sie stehen eher für Einheit als für Vielfalt, sie fördern eher Integration als Differenzierung, ihre Funktion liegt eher in der Synthese als in der Analyse." Das ist eine äußerst wichtige Beobachtung: Die Metapher vereinfacht, indem sie Auseinanderstrebendes verbindet; sie hat die Eigenschaft, intuitiv als Einheitsmoment erkannt zu werden und kann deshalb kurz und bündig erklären, wozu die begriffliche Sprache weit ausholen müsste, wenn sie die Wirklichkeit in allen Facetten und Zusammenhängen darstellen wollte. Bilder machen die Wirklichkeit kalkulierbar. Man darf allerdings die symbolische Verkürzung der Wirklichkeit nicht a priori und ausschließlich als 'Einlullen' des Bürgers und als Betrug verstehen, betont Bergem: "Dieser quijoteske Kampf unterschätzte die Vielschichtigkeit politischer Zusammenhänge; er überschätzte die Möglichkeiten von Sprache, anders als symbolisch Wirklichkeit abzubilden; und er leugnete den homo symbolicus." Für ihn sind Metaphern grundsätzlich ein unverzichtbares Instrument, um überhaupt Weltverständnis zu gewinnen - ähnlich wie für Lakoff und Johnson - weil so unübersehbare Zusammenhänge 'auf einen Blick' begreifbar gemacht werden können. Umgekehrt und etwas drastisch formuliert: Die Welt ist so widersprüchlich, dass man sich unbedarft vorkommen muss, wenn man nicht eine Deutung hat, die alles kohärent erscheinen lässt.

Eine metaphorische Verdichtung der Wirklichkeit zum besseren Verständnis derselben - das zu betonen ist wichtig - zeitigt selbstverständlich nicht das immer gleiche, absolute und 'wahrhaftige' Ergebnis. Im Gegenteil: Wie wir oben gesehen haben, ist das Weltverständnis abhängig davon, wie man über die Welt spricht - und so gibt es ebenso viele verschiedene Möglichkeiten, die Welt zu verdichten, wie über sie zu sprechen bzw. sie deutlich zu machen. Bei einer solchen metaphorischen Verdichtung handelt es sich dann um strategische Metaphorik, wenn bewusst bestimmte Metaphern(konzepte) benutzt werden und andere nicht, um explizit die damit verbundenen Denkweisen und Weltsichten zu etablieren. Das ist in Politik und Werbung besonders gut möglich, weil die 'Massenkommunikation' eine "monologische Struktur" hat, also die Rollen von politischen Akteuren als Sender einerseits und von Konsumenten als Empfänger andererseits klar verteilt und voneinander geschieden sind; direktes Nachfragen etwa ist für den Konsumenten nicht möglich.

Metaphern haben einen speziellen Wahrheitsanspruch: "Die Neigung zum Absoluten, zum Totalen, die Symbolen anhaftet, ihr 'Charisma der Transzendenz', das den von ihnen repräsentierten Wirkichkeitsausschnitten oftmals eine 'religiöse Dignität' verleiht" - diese Neigung steht der unverdichteten Wirklichkeit insofern widersprüchlich gegenüber, als diese Wirklichkeit sich ja tatsächlich nicht etwa nur auf eine, sondern auf viele verschiedene Weisen verdichten lässt, und jeder metaphorisch verkürzte Wirklichkeitsausschnitt nur eine von vielen Möglichkeiten dazu ist. Metaphern, so könnte man sagen, bieten nur eine bestimmte Perspektive auf die Wirklichkeit dar, verlangen aber, dass diese als 'das Ganze' anerkannt wird. Dabei sollte diese Bestrebung von Metaphern keineswegs als eine per se schlechte Eigenschaft angesehen werden, da sie grundsätzlich kulturell eine große Bedeutung gewonnen hat. Es hat sich erwiesen - etwa in Deutschland maßgeblich in der Weimarer Republik - dass ein Mindestmaß an Konsens, "an gemeinsam erfahrbarer Identität" äußerst wichtig für - v.a. demokratische - Kulturen ist. "Konsensfähige politische Deutungscodes", erklärt Bergem, "stiften Identität; sie wirken als eine Art Bindemittel, als politisch-kultureller Kitt, der moderne Gesellschaften zusammenhält." Mit konsensfähigen Deutungscodes meint er, dass die Wirklichkeit von den Bürgern gleich erlebt wird, dass es einen Grundbestand von anerkannten Wahrheiten gibt - und sei es auch nur, dass qua sprachliche Konvention die Zukunft von vorne kommt.

Ein konsensfähiger Deutungscode ist genau das, was Graf Leinsdorf im "Mann ohne Eigenschaften" für sein Land sucht. Er, als erfahrener Realpolitiker, weiß: "Das Volk verlangt eine starke Hand; eine starke Hand braucht aber schöne Worte, sonst läßt sich das Volk sie heute nicht mehr gefallen."41 Für ihn liegt dieses Potential zunächst insbesondere im Wahren, das er als strategische Metapher fruchtbar machen möchte: Er will "die Phantasie des Publikums auf ein Ziel lenken", das "in Übereinstimmung mit den wahren Zielen der Menschheit und des Vaterlands sei", postuliert den "wahren deutschen Gedanken", ja schließlich sogar den "'wahren Juden'". Er meint mit 'dem Wahren' nicht anderes als das, was er für seine Person als richtig ansieht - denn "der echte katholische Glaube erzieht dazu, die Dinge zu sehn, wie sie wirklich sind" - und impliziert damit, dass alle anderen Weltsichten falsch sind. Er macht damit aber eben nur über die Bewertung der Wirklichkeit eine Aussage, und nicht über die Wirklichkeit selber. Unabhängig davon ahnt Meingast, dass solche Metaphorik nur dazu dient, Machtstrukturen zu bestätigen und kritisiert dementsprechend: Die Qualitäten 'wahr' und 'falsch' seien nur Ausreden, um nichts ändern zu müssen.

In der westlichen Kultur gilt Wahrheit als etwas Absolutes und Eindeutiges: Der Glaube an Objektivität, und mithin an die 'einzige' Wahrheit, ist einer der Grundpfeiler der westlichen Philosophie von den Vorsokratikern bis heute. Neben 'natürlich' entstandenen konzeptuellen Metaphern gibt es nun, wie erwähnt, aber auch solche, die explizit von politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Autoritäten geprägt werden (oder für deren Gebrauch) - die strategischen Metaphern. Da ja just in 'unserer' Kultur Wahrheit als absolut und objektiv gilt, kann, wer solche Metaphern erfolgreich prägt, die einzige Wahrnehmung der Wirklichkeit bewusst gestalten. Nur deshalb funktionieren strategische Metaphern als solche: Sobald sich eine Weltsicht als 'wahr' durchgesetzt hat, sind schließlich alle konkurrierenden Wirklichkeitsdeutungen eo ipso als 'falsch' disqualifiziert, gewissermaßen allgemeingültig widerlegt. Gerade in Demokratien, wo ja die Machteliten auf das Wohlwollen der Bürger bei der Wahl angewiesen sind, treten daher "die politischen Akteure als Sinnproduzenten mit ihren Angeboten von Deutungen für die politische Wirklichkeit in einen Wettbewerb um die Deutungsmacht". Deutungsmacht ist im Zusammenhang mit der strategischen Metapher sozusagen die Hoheit, die (oder eine) gültige Wahrheit definieren zu können, und in dem Sinne erkennt Arnheim: "Groß ist nun, was für groß gilt; allein das heißt, daß letzten Endes auch das groß ist, was durch tüchtige Reklame dafür ausgeschrien wird". Ohne Deutungsmacht allerdings stoßen strategische Metaphern auf Widerstand, weil sie als nicht sinnvoll bzw. wahr empfunden werden - kann heißen: vielleicht sogar deshalb, weil sie gerade dann bewusst als solche wahrgenommen werden.

Natürlich stimmt nicht, dass grundsätzlich niemals Eindeutigkeit hergestellt werden könnte. Der Möglichkeitsmensch Ulrich stellt das Problem dar: "Ich will schweigen von den genauen, meß- und definierbaren Eindrücken, aber alle anderen Begriffe, auf die wir unser Leben stützen, sind nichts als erstarren gelassene Gleichnisse." Er meint damit, dass die letzteren je nach Ausdeutung veränderlich sind. Selbstverständlich kann man beispielsweise die Aussage 'Es ist acht Uhr morgens' eindeutig veri- oder falsifizieren. Wenn es aber, wie etwa in der Politik, um Abstrakta und Hochwertwörter geht wie etwa Freiheit oder das Wahre, ist der Fall wesentlich problematischer. Schon Kant wusste, dass dem Begriff Freiheit schlechterdings keine Anschauung korrelieren kann. Wenn nun also verschiedene politische Parteien oder Weltbilder den Begriff Freiheit unterschiedlich definieren, dann kann man die 'einzig wahre' Auffassung nicht anhand selbstevidenter Anschauung (oder auch nur einer Messung) bestätigen oder widerlegen, sondern Freiheit wird zu einem ideologischen Polysem. Das ist ein - i.A. politischer - Begriff, der unterschiedlich, wenn auch womöglich ähnlich definiert wird (unterschiedlich 'besetzt' ist) - je nachdem, wer ihn verwendet, bzw. in welchem ideologischen Zusammenhang. Die Wortform ist also jedesmal dieselbe, aber ihre Bedeutung ist von der politischen Richtung abhängig, die sie für sich beansprucht. Die, wie Leinsdorf sie gut behaupten könnte, 'wahre Freiheit' kann also nicht objektiv bestimmt werden, sondern es gibt mehrere konkurrierende Auslegungen des Begriffs, die dann je nach Affinität vom Rezipienten gutgeheißen oder verworfen werden können. So lange aber Wahrheit als einzigartig begriffen wird, besteht zwangsläufig zwischen den Lesarten der ideologischen Polyseme unbedingte Konkurrenz - denn, so Bergem: "Deutung wird für Wirklichkeit gehalten".

Das Problem der Deutungshoheit verdeutlicht sich im "Mann ohne Eigenschaften" beispielhaft an Moosbrugger. Er besitzt eine andere Weltdeutung als der Staat, und folglich existiert keine Deutungshoheit, die für ihn in die Bresche springen oder sein Handeln nachvollziehbar machen könnte. Dabei betrachtet Musil es als durchaus einer eigenen Logik folgend und im Grunde der offiziell anerkannten Weltdeutung äquivalent. "In den Augen des Richters gingen seine Taten von ihm aus, in den seinen waren sie auf ihn zugekommen wie Vögel, die herbeifliegen. Für den Richter war Moosbrugger ein besonderer Fall; für sich war er eine Welt, und es ist sehr schwer, etwas Überzeugendes über eine Welt zu sagen. Es waren zwei Taktiken, die miteinander kämpften, zwei Einheiten und Folgerichtigkeiten; aber Moosbrugger hatte den ungünstigeren Stand, denn seine seltsamen Schattengründe hätte auch ein Klügerer nicht ausdrücken können." Moosbrugger ist vor der Justiz zum Scheitern verurteilt, weil er unmöglich nachvollziehbar machen kann, was ihm widerfahren ist: Das liegt nicht nur an seinem ungünstigen gesellschaftlichen Stand, sondern gerade auch daran, dass seine Weltdeutung der Deutungshoheit zuwiderläuft und daher nicht nachvollzogen werden kann bzw. a priori als 'falsch', 'fehlgebildet' o.Ä. gelten muss. "Sein wahres Leben" ist "nur für ihn vorhanden", weil andere es nicht erkennen können, wenn sie ihre Weltsicht anders organisieren. Die Weltdeutung der Justiz sitzt am längeren Hebel; sie dekonstruiert sein Weltbild, das sie nicht anerkennt: "Vor der Justiz lag alles, was nacheinander so natürlich gewesen war, sinnlos nebeneinander in ihm".

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