Gutturaler Gesang im Heavy Metal (Artikel in der Schweizerischen Musikzeitung auf der Seite für Musik-Medizin)

Gesang ist stärker von physiologischer Befindlichkeit und körperlichem Allgemeinzustand abhängig als jede andere musikalische Aktivität, erst recht der sogenannt gutturale Gesang.

Beim gutturalen Gesang handelt es sich um Kehlgesang, der mit den Taschenfalten («falschen Stimmlippen») gebildet wird.

Erstellt von luisewerlen vor 8 Jahren
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Die Taschenfalten sind zwei waagrecht übereinander liegende Faltenpaare im Kehlkopf, direkt oberhalb der tatsächlichen Stimmbänder. Sie werden normalerweise zum Luftanhalten oder Räuspern gebraucht. Der Kehlgesang wird in vielen Kulturen verwendet um den normalen Stimmumfang eine Oktave nach oben oder unten zu erweitern. Die Stimme wird durch die Vibrationen der Taschenfalten rau und etwas verzerrt und erinnert an den Klang eines Didgeridoos. Ein ähnlicher Effekt kann durch den Einsatz des sogenannten Strohbass-Registers (auch Puls- oder Schnarr-Register) erreicht werden, das tiefste Stimmregister, in dem die Stimmbänder so locker sind, dass die einzelnen Schwingungen als eine Art Knattern oder eben einzelne Pulse wahrgenommen werden. Gutturaler Gesang wird aber auch in moderner Musik, vorwiegend im extremen Metal, eingesetzt. Die Stimmtechniken werden vorwiegend als «Growling», «Screaming» oder «Shouting» bezeichnet, je nach Tonhöhe und Anteil an «Stimme», dem Verhältnis von Stimmbändern zu Taschenfalten. Es werden also meistens sowohl Taschenfalten als auch Stimmbänder benutzt. Je nachdem, ob der Ton beim Ein- oder Ausatmen erzeugt wird, spricht man zwischen «Inhale-» und «Exhale-Screams». Es gibt noch zahlreiche weitere Bezeichnungen und Varianten von gutturalem Gesang im Metal.

Growling (dt. Knurren) erinnert an das Knurren eines Tieres und wird vor allem im Death Metal und im Grindcore eingesetzt. Der Anteil der Stimmbänder variiert stark, vor allem beim Grunting (Grunzen), der tiefsten Variante, kommen sie kaum zum Einsatz. Screaming (dt. Schreien, Kreischen) ist meistens hochfrequent, benutzt fast ausschliesslich die Taschenfalten und wird hauptsächlich im Black Metal verwendet. Shouting kommt bevorzugt im Thrash Metal und Hardcore vor und zeichnet sich durch einen hohen Anteil Stimmbänder aus. Bei dieser Form des gutturalen Gesangs ist die Gefahr, die Stimme zu schädigen, am höchsten, denn die Stimmbänder werden stark beansprucht.

Es kann bei der hohen Intensität und Lautstärke und den extremen Tonlagen in diesem Musikgenre schnell zu einer Überbelastung der Stimme kommen, die sich in Heiserkeit – temporär oder dauerhaft ‒, Halsschmerzen oder im schlimmsten Fall Blut im Mund äussern kann. Kommt dies mehrfach vor, können langfristige Schäden an den Stimmbändern nicht ausgeschlossen werden. Sie können zu einer Dysphonie oder schlimmstenfalls gar zu einer Aphonie führen. Für typische «Sängerkrankheiten» ist auch der Metal-Gesang anfällig. Es sind dies Rhinitis (Schnupfen), Pharyngitis (Rachenentzündung), Laryngitis (Kehlkopfentzündung), Tonsilitis (Mandelentzündung), Tracheitis (Luftröhrenentzündung), Bronchitis, Sinusitis (Kieferhöhlenentzündung), Knötchen oder Ödeme auf Stimmbändern sowie vergrösserte Mandeln infolge mehrfacher Tonsilitis. Diese Erkrankungen können, auch wenn sie nicht aufgrund falscher Stimmanwendung entstanden sind, die Stimme beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, diese bis zur vollständigen Ausheilung zu schonen.

Das grosse Problem bei der Anwendung gutturaler Gesangstechniken: Es fehlt an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und einer einheitlichen Theorie, was daran liegt, dass er zum einen selten verwendet, zum anderen auch oftmals nicht wirklich als Kunstform anerkannt, sondern als «Lärm» verlacht wird. Es empfiehlt sich also, auch wenn man «nur» Growlen oder Screamen möchte, Gesangsstunden zu besuchen, um die Grundlagen von Atmung und Gesangstechnik zu erlernen. Ausserdem ist es ratsam, präventiv die Grundsätze der Stimmhygiene zu befolgen, genauso wie beim klassischen Gesang oder bei anderen Berufen, welche die Stimme stark beanspruchen. Gänzlich ohne Stimmbänder kommen nämlich auch Metal-Sänger und -Sängerinnen nicht aus.

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