„Ich lebe in der Bundesrepublik“ Ein Vergleich zweier ausgewählter Texte

Wie in 'Beschreibungen eines Dorfes' ist auch in 'Ich lebe in der Bundesrepublik' die Natur durch diese schnellen Veränderungen nur skizziert. Ihr bleibt keine Zeit, eine genaue Beschreibung zu verfassen, stattdessen hinterlässt sie kurze und neutrale Fragmente.

Erstellt von Glastinghouse vor 7 Jahren
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Entsprechend der Schnelllebigkeit der Welt ist für Kaschnitz auch die Vergänglichkeit wichtig, nach der die Natur mitunter wahrgenommen werden soll. In ihrem Fragment 'Waldfrühling', dem letzten Stück ihres Anteils im Sammelband, spielt sie auf die Vergänglichkeit und die Selbstzerstörung des Menschen hin, in dem sie das tote Vögelchen, das den Warnungen der Menschen über den Wald nach vermutlich mit Tollwut infiziert ist, als Beispiel nimmt. Das Vögelchen, noch nicht einmal ein ausgewachsener Vogel, scheint aus dem Nest gefallen zu sein. Die Vergänglichkeit ist das minimal kurze Leben des Tieres, aber auch die massive Gefahr durch den Übergriff der Tollwut auf den Menschen. Das Leben kann schnell sein Ende finden, sei es durch das Unglück des Vögelchens oder durch eine verzehrende Krankheit.

Verborgen hinter diesem Bild lässt sich auch der Faktor der Zerstörung erkennen und die Erinnerung an ein Schrecknis in der Vergangenheit. Als Dorette, das Töchterchen der Erzählerin, das gefundene Vögelchen aufheben will, verbietet es ihr die Mutter unter dem Sachverhalt der Ansteckungsgefahr. Das Kind aber, vielleicht weil ignorant oder einfach aus falschem Verständnis heraus, ist fasziniert von der Vorstellung der Gefahr. Beinahe wie im Wahn lässt sie in Gedanken ein Tier das nächste beißen und anstecken, bis sich alle, auch der kranke Mensch, gegenseitig anfallen: „Aber Dorette war unerbittlich. Sie erfüllte den Wald mit einem Pandämonium von Tieren und Menschen, die sich gegenseitig anfielen, Schaum vor dem Mund.“[1] Das gegenseitige Anfallen erinnert an den zurückliegenden Krieg. Dorette erscheint durch ihr „unerbittlich“ sein nicht mehr wie ein Kind, sondern mehr wie ein Befehlshaber, der die Schlacht koordiniert. Wer hat Schaum vor dem Mund? Die Kranken oder das entzückte Kind? Kaschnitz spricht etwas an, worüber sie nichts erzählen möchte oder kann, obwohl es im Raum steht, ähnlich der passiven Mächtigkeit der Natur. Der Krieg wirkte sich auch zwei Jahrzehnte später noch enorm auf das Leben aus. Das Kind, das erst fünf Jahre ist, weiß von den dunklen Jahren nichts. Inmitten seiner kindlich unschuldigen Zerstörungswut lässt es auferstehen, was für Deutschland das Grauen war. Kaschnitz lässt diese Vergangenheit nur kurz aufblitzen. Denn sofort entfernt sie sich wieder von Dorettes Gedankenwelt und überdeckt alles mit dem ätherisch-schönen Wald, denn das Mädchen „tanzt[e] unter den schon von einem zarten grüngoldenen Schleier überwehten Frühlingsbäumen hin.“[2], wie mit einem Schleier aus Trost. Suhr, die Kaschnitz‘ Werke hauptsächlich aus theologischer Sicht betrachtet hat, nimmt diese Ruhe und Friedlichkeit, die in dem Wald auftauchen, als Idee, dass die Erzählerin sich inmitten der Natur in einem Zustand der Kontemplation befindet. Es ist auffällig, dass der Text, wenn man einmal den Part der kindlichen Fantasien wegnimmt, sehr neutral und eintönig geschrieben ist. Eintönigkeit ist auch der Begriff, den Suhr verwendet, um zu erklären: „Sie schreibt deshalb auch weniger, was sie sieht, sondern umschreibt vielmehr ihr Erleben. Die Zeit steht still, sie ist entrückt, sie erlebt einen Moment irdischer Ewigkeit, sie ist entlassen aus dem „accelerato“.“[3]; der Beschleunigung und Schnelligkeit des Lebens entkommen, es ist Kaschnitz‘ Absicht, dies in ihren Texten zu schaffen und dem Leser ebenfalls zu ermöglichen.

[1] Vgl. Weyrauch, S. 49.

[2] Vgl. Weyrauch, S. 49.

[3] Vgl. Suhr, S. 114.

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