Referenzartikel Kunstgeschichte

Im Jahre 1498 veröffentlichte Albrecht Dürer (1471-1528) ein umfangreiches Druckwerk sowohl in deutscher als auch lateinischer Sprache, welches bis heute als Grundstein seines großen künstlerischen und gesellschaftlichen Erfolges gelten kann. Tatsächlich beschritt Dürer sowohl formal, als auch im Ausdruck seines künstlerischen Schaffens neue Wege, die bis heute Aufmerksamkeit erregen.

Erstellt von asphyx vor 8 Jahren
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Als höchst gelungen darf auch die Themenwahl gelten, in Zeiten großer Unsicherheit und Unzufriedenheit wendete sich Dürer primär nicht den kalmierenden Worten schützender Heiliger zu, sondern drang mit ungeheurer Intensität in das Chaos der biblischen Apokalypse vor. Es scheint, als wollte der Künstler in „die heimlich offenbarung iohannis“ vordergründig nicht belehren, sondern durch die Kraft der Veränderung, wie nur ein Ereignis biblischer Größe sie vollbringen kann, Hoffnung schüren.

Tatsächlich spiegelt die zeitlose Thematik des Weltunterganges ein breites Spektrum menschlicher Emotionen, da die Apokalypse in jedem Fall eine Zerschlagung der bestehenden Ordnung verspricht und den Keim eines Neubeginns in sich trägt. Dass die Thematik fünfhundert Jahre nach der Entstehung der Holzschnitte Dürers immer noch nichts an ihrer Aktualität eingebüßt hat, auch wenn das Ende der Welt dabei nicht mehr zwingend an religiöse (christliche) Motive geknüpft sein muß, beweisen die Massenmedien des Homo technicus stets aufs Neue. Das Ende des Mayakalenders im Jahre 2012 wurde mit Spannung erwartet und von Hollywood cineastisch gerahmt. Die letzte Jahrtausendwende erwies sich nicht nur für Softwareingenieure als Nagelprobe (Y2K) und auch der Übergang ins zwanzigste Jahrhundert ließ sich nicht ohne irrationale Ängste bewerkstelligen, wie beispielsweise das Drucken von Ansichtskarten vom Weltuntergang in Wien belegt.

Dürers Interpretation der Apokalypse erschien zwei Jahre vor dem Anbruch des sechzehnten Jahrhunderts und beinhaltet insgesamt fünfzehn Illustrationen. Folgt man dem stark strapazierten Sujet der übersteigerten, religiöser Erregung im fünzehnten Jahrhundert, so mag der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werkes eine gewisse Rolle gespielt haben. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die der Thematik des drohenden Weltunterganges zu Lebzeiten Dürers weit weniger Gewicht verleihen.

Als gesichert kann allerdings gelten, dass die Lebensumstände im fünfzehnten Jahrhundert von mannigfaltigen Unsicherheitsfaktoren dominiert wurden, deren Ursprünge sich sowohl in der politischen, als auch religiösen Landschaft festmachen lassen. Äußere Faktoren, wie Naturkatastrophen, oder das Auftreten von Seuchen ungeahnten Ausmaßes, wirkten zusätzlich destabilisierend. Diese Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Rolle des ersten „großen Buches“, wie das Werk von Dürer selbst bezeichnet wurde, im Lichte des anbrechenden sechzehnten Jahrhunderts zu betrachten. Um die Wirkung Dürers Apokalypse in jener Epoche abschätzen zu können, ist es wichtig, sowohl die damaligen Lebensumstände zu analysieren, als auch das Werk selbst. Es stellt sich die Frage, mit welche Mitteln der Künstler sein Publikum zu begeistern vermochte. Wie gelang es Dürer seine Darstellung der Apokalypse zu einer der erfolgreichsten aller Zeiten werden zu lassen?

2. Die gesellschaftlichen Verhältnisse im ausgehenden 15. Jahrhundert

2.1. Die Verfehlungen der „babylonischen Hure“ - eine Kirchenkritik

Die Institution der Kirche wurde von vielen Zeitgenossen Dürers wohl als geschickt agierendes Finanzunternehmen begriffen, anstelle ein Gefäß des reinen, christlichen Glaubens darzustellen. Neben einer durchaus aggressiv geführten Machtpolitik war es vor allem das finanzielle Gebahren, welches die Kirche in den Augen Vieler als äußerst weltlich entlarvte und die Sehnsucht nach dem reinen, dem urspünglichen Glauben schürte. Um die steigenden Kosten der Kirchenpolitik zu decken, welche nicht selten in teure Kriege ausmündete, mußten immer neue Geldquellen aufgetan werden. Zusätzliche Steuern auf Kirchenämter, vor allem aber Strafzahlungen für Sünder, Bestechungsgelder und der berüchtigte Ablasshandel, können als Beispiele des moralischen Niedergangs innerhalb der Kirche angeführt werden. Nicht nur die wachsenden finanziellen Bürden belasteten das Volk, auch der Umgang mit den abgeführten Geldern sorgte für Verstörung. Immer wieder kam es zu Ausschweifungen und Exzessen innerhalb kirchlicher Mauern.

Die zunehmende Ablehnung der katholischen Kirche aufgrund der Lebensweise viele ihrer Vertreter, sowie die Ablehnung des Papstes durch das Volk, ist keine Erscheinung alleine des 15. Jahrhunderts. Das Auftreten religiöser Bewegungen, welche zumeist durch ein extrem einfaches, enthaltsames Leben das wahre Christentum wieder zu gewinnen hofften, ist bereits im 12. Jahrhundert nachweisbar. Derartige Organisationen, welche oft von Laien getragen wurden, provozierten teils sehr heftige Reaktionen des herrschenden Kirchenapparates und führten wie im Falle der Albigenser sogar zu deren völliger Ausrottung im Zuge eines Kreuzzuges.

2.2 Der Mensch als Individuum - Wissenschaft als Bestandteil gesellschaftlichen Wandels

Das 15. Jahrhundert, mit der sich von Italien langsam auch in deutschen Landen ausbreitenden Renaissance, legte den religiösen Gegenbewegungen neue Möglichkeiten in Form philosophischer und naturwissenschaftlicher Entdeckungen in die Hände. Der zunehmende Opportunismus gegen die Kirche muß sogar als wichtiger Motor des Erkenntnisgewinns gewertet werden. Das alte, von Korruption und Misswirtschaft durchdrungene System forderte eine Erneuerung im Gewand einer der Scholastik abgewandten Philosophie geradezu heraus, welche den Machtanspruch des Papstes zugunsten eines weltlich orientierten Staates verringerte. Als Beispiel hierzu mag der Philosoph Wilhelm von Occam dienen, welcher in seinem Occamismus sowohl einen demokratischen Gedanken in die Diskussion der Kirchenerneuerung einbrachte, als auch das Element des empirischen Wissensgewinns betonte. Die philosophischen und theologischen Ansätze zur Erneuerung der Kirche entwickelten sich zu einer Staats- und Gesellschaftstheorie weiter, die sich bis auf das einzelne Individuum beziehen sollte. Eine ganz wesentliche Errungenschaft jener Zeit lag in der Entdeckung des Menschen als Individuum, als eigenständige Kreatur, der Würde gegeben war, im Angesicht der Natur. Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494) widmete sich beispielsweise in seiner Schrift „Über die Würde des Menschen“ dieser Thematik. Andere Denker betrachteten die Stellung des Menschen im Verhältnis zur Natur.

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