Heilserwartungen in der russischen Literatur

Okkultismus und Esoterik hatten schon immer ihren Platz in der intellektuellen Geschichte. Die antiken Mysterien des Ostens, die geheimen Riten der Chaldäer, Ägypter und Perser, sowie das antike Griechenland wurden von der mittelalterlichen Kabbalistik, der Alchemie, der Hermetik und der religiösen Mystik beerbt, gefolgt vom Hexenkult, der Mystik des Emanuel Swedenborg, des Arztes Franz Anton Mesmer, und des schwarzen Kultes des Grafen von St.

Erstellt von pacherc4 vor 8 Jahren
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Germain, die auf die okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert ihren Einfluss ausübten. Im 20. Jahrhundert erweiterte sich das Interesse um außerirdische Wahrnehmungen, Satanismus und die New-Age-Bewegung. Versteckt vor dem öffentlichen Auge erreichte die esoterische Tradition Russland, wo sie sich als Unterhaltung, Wissenschaft, und neue Glaubensform schnell verbreiten konnte. Okkulte Zirkel entstanden in Moskau, St. Petersburg und in den russischen Provinzen. Astrologie, Handlesen, Hypnose waren ebenso populär wie die Sekten und Gruppen der Freimaurer, Rosenkreuzer und der Martinisten. Publikationen zu diesen Themen findet man vor allem im ‚Rebus’, der damaligen spirituellen Zeitschrift. Der eigentliche Ursprung der Freimaurerei in Russland ist unklar, doch vermutlich wurde sie 1731 von England ausgehend in Russland etabliert. Einen ersten Höhepunkt ereichten die Logen zwischen 1770 und 1780.

Die wichtigsten esoterischen Bewegungen waren die Theosophie und die daraus hervorgegangene Anthroposophie, die einen großen philosophischen und kulturellen Einfluss auf die russische Gesellschaft ausübten. Die Lehren wurden durch die Frustration und Unzufriedenheit einer großen Anzahl Intellektueller populär gemacht. Sie suchten nach der Würde des Menschen, fanden jedoch schmutzige Fabriken, vernachlässigte Arbeiter, und Verbrechen. Theosophisches und anthroposophisches Gedankengut bot diesen Suchenden eine Lösung, gemeinsam mit einer neuen Weltanschauung und einer starken Moral. Ivanov-Razumnik (1878-1946), einer der führenden Historiker und Literaturkritiker seiner Zeit, erkannte besonders bei Andrej Belyj deutlich den anthroposophischen Einfluss. Theosophisches Gedankengut diente nicht nur zur Unterhaltung, sondern transformierte die Gedanken vieler Mitglieder der führenden Intelligenz. In einer Welt, die sich unaufhaltsam auf den Ersten Weltkrieg und die Revolution zu bewegte, suchte die schaffende russische Intelligenz eine Synthese der Kultur zu schaffen, in welcher Kunst mit Religion identifiziert und die ästhetische Theorie in eine metaphysische Anschauung gewandelt wurde. Die Intelligenz befürchtete zu Recht, dass die wachsende Unzufriedenheit, die sozialen Unruhen und die wachsende Mittelklasse zu einem Umsturz führen werden und zog es vor, aus dieser Wirklichkeit in eine Welt des Geistes und der Kunst zu flüchten, wo Ästhetik und geistige Werte noch hochgehalten werden.

[1]) Ivanov-Razumnik, Aleksander Blok, Andrej Belyj, Letchworth, 1971, S. 38ff.

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