Reportage über einen Menschen in seiner Umgebung

Es ist halb sechs als der Wecker klingelt. Er schlägt auf ihn, als hätte damit die erste Runde eines Boxkampfs begonnen. Er schreit einmal laut „ich hasse diesen Tag jetzt schon“. Er bittet mich das Rollo ein Stück aufzuziehen, damit ein wenig Licht durch die Dunkelheit dringt. Eine kurze Flamme, dann ein roter Punkt in der noch vorhandenen Dunkelheit.

Erstellt von Written vor 8 Jahren
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Er pustet den Rauch aus, als befreie ihn dieser von schweren Lasten. Es herrscht eine Stille, die selbst die Geräusche übertönt, die von Außen versuchen, durch die geschlossenen Fenster zu dringen.

Er steht auf, streckt sich und seine Knochen knacken, als wären soeben Fesseln gebrochen, die ihn zurückgehalten haben. Er geht in die Küche und kehrt nach ein paar Minuten mit einer Dose Bier in der Hand zurück. Er schaut mich an und nickt mir zu. Ein kurzes Zischen unterbricht die Stille.
Nachdem er die Dose getrunken hat, wird es Zeit sich für die Arbeit fertig zu machen. Er öffnet den Schrank, in dem nur Anzüge, wie Menschen an einer Stange baumeln und schaut sie an, als seien es seine Kinder. Er greift nach einem und verschwindet mit ihm im Badezimmer. Nach einer halben verlässt er das Badezimmer und sieht aus, wie ein neuer Mensch. Seine Haare sitzen perfekt und aus der labbrigen Trainingshose und dem zerrissenen T-Shirt ist ein schwarzer Anzug mit einem weissen Hemd geworden. Die Krawatte ist gebunden, als mache er den ganzen Tag nichts anderes. „Es ist Zeit zu gehen“, sagt er, als er sich die silberne Uhr ums Handgelenk legt. Er ist nicht mehr der Mensch, der vor einer halben Stunde war.

Er wirkt wie verwandelt, seine Augen sind klar und der Blick ist freundlich. Wir verlassen seine Wohnung und gehen zum Parkplatz. Als er den Knopf an seinem Autoschlüssel drückt, blinken die Lichter eines schwarzen Audi auf.

Die Felgen des Wagens glänzen, als wären sie eben frisch poliert worden. Wir steigen in diesen schwarzen Traum ein und fahren los. Er sagt kaum ein Wort und konzentriert sich auf die Straße. Als wir am Ziel unserer Reise ankommen und aussteigen, stehen wir vor einem riesigen Gebäude mit einer Fensterfront. Wir steigen in einen Aufzug und fahren hoch in die fünfte Etage. Dort angekommen, wird er schon von einem älteren Herrn erwartet. Die Beiden fangen sofort an über geschäftliches zu reden und Dirk wird gesagt, es wartet schon ein Klient im Konferenzraum auf ihn. Er geht vor, ich folge ihm unauffällig.
Er begrüßt den Klienten freundlich während dieser aufsteht, um Dirk die Hand zu geben. Sofort fangen sie an über die Probleme zu reden, die der Klient mit seiner Firma hat. Dirk und er erarbeiten eine Strategie, wie sie das Beste aus der Situation rausholen können. Ihre Köpfe qualmen, rauchen, es werden Überlegungen und Argumente durch den Raum geschossen als wären wir in einem Kriegsgebiet. Um an der Front einen Sieg zu erzielen, müssen sie einen Schlachtplan fertigen. „Genug für heute“, sagt Dirk plötzlich. Er verabschiedet sich von dem Anderen und gibt mir ein Zeichen, dass wir wieder gehen. Auf dem Weg zurück zum Fahrstuhl erklärt er mir dass es täglich so abläuft, ein kurzer Besuch in der Kanzlei und dann Außentermine. Als wir in seinem Wagen sitzen, telefoniert er mit jemandem und sagt, dass er schon auf dem Weg sei.
Es fährt gemütlich durch die Stadt, als würde er gerade seine Freizeit verbringen und nicht arbeiten. Kaum zu fassen, dass dieser Mann ein Gehalt hat, von dem viele nur träumen. Er hält vor einem Café und eine Frau steigt in den Wagen, sie ist schlank, hat braune lange Haare und sieht aus wie eine Prostituierte. Dirk gibt mir zu verstehen, ich soll aussteigen.

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