„Where is Hareket, there is Bereket” – Sprachreflexion in deutsch-türkischer Literatur am Beispiel von Yadé Kara, Feridun Zaimoğlu und Emine Özdamar

4.4.1 Stilschichten

Alle drei Romane kennzeichnet, wie im vorangegangen Kapitel besprochen, ein häufiger Gebrauch von Dialogen, in denen verschiedene Fremdsprachen - häufig Mutter- und Zweitsprache - vermischt werden, wodurch Redevielfalt und Authentizität erzeugt werden.

Erstellt von Julia8684 vor 8 Jahren
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Dies wird jedoch nicht nur durch die Verwendung von Fremdsprachen und Regionalsprachen erreicht, sondern auch durch den Gebrauch verschiedener Stile der gesprochenen Sprachen in den Texten. Michail Bachtin gibt in diesem Sinn an: Die innere Aufspaltung der einheitlichen Nationalsprache in soziale Dialekte, Redeweisen von Gruppen, Berufsjargon, Gattungssprachen, Sprachen von Generationen und Altersstufen, Sprachen von Interessengruppe, Autoritäten, Zirkeln und Moden, bis hin zu den Sprachen sozial-politischer Aktualität […] ist die notwendige Voraussetzung für die Romangattung.“[1]

Yadé Karas Roman zeigt sich in der Figuren-, aber auch in der Erzählerrede hinsichtlich des Wortschatzes zum einen auf einer neutralen Ebene, hauptsächlich jedoch unterhalb dieser Ebene.[2] Unter „neutraler Ebene“ wird hier ein Wortschatz verstanden, der „über keinerlei Verwendungsrestriktionen verfügt“[3], was bedeutet, dass er in jedem Sprachgebiet und in jeder Situation und Textsorte verwendet werden kann. Die Ebene, die sich unter dieser befindet, zeichnet sich durch eine „ungezwungene (nicht öffentliche) Kommunikation aus“[4], die sich zusätzlich in einen alltäglichen, einen umgangssprachlichen, einen saloppen (bei Vertrautheit mit dem Gesprächspartner) und einen derben Bereich mit verletzender Wirkung aufteilt.

Hasans Schilderungen über die Stadt Berlin, die dort lebenden Menschen und seine Erlebnisse bewegen sich meist in dem Bereich umgangssprachlicher und salopper Artikulation: „Mama fand Berlin zu prollig, deshalb blieb sie mit Ediz am Bosporus. Im Vergleich zu Istanbul war Berlin ein Kaff.“(S. 12). Die Begriffe „prollig“ und „Kaff“ werden im Normalfall nicht in einem öffentlichen Kontext gebraucht – sie lassen auf eine zwanglose, „freundschaftliche“ Rede schließen, die der Erzähler hier benutzt. Auf diese Weise zeigt sich die subjektive Position des Erzählers Hasan sehr stark. Er filtert seine Rede nicht, sondern spricht zu dem Leser wie er es in seinem vertrauten Umfeld gewohnt ist. Auf diese Weise kann sich die Distanz zwischen Erzähler und Leser – sofern der Leser sich dieses Sprachstils selbst hin und wieder bedient – verringern, oder aber auch vergrößern, wenn der Leser mit dieser Art von Umgangssprache nur selten in Berührung kommt und sich nicht mit ihr identifizieren kann.

Hasan verwendet teilweise auch derbe Ausdrücke, meist dann, wenn er über bestimmte Frauen und deren Geschlechtsmerkmale berichtet: „Niemand fehlte aus dem Tittenbusiness. Das ganze Zimmer war eine einzige Tittengalerie.“ (S. 89) oder „Cora hatte mich gefickt“ (S. 321).

Hasans Ausführungen über manche Situationen, in die er während seiner Erzählung nicht emotional eingebunden ist, gestalten sich hingegen nahezu wertfrei und sachlich.

In Westberlin durften damals laut Alliertenbeschluß keine Maschinen eines anderen Landes landen. Baba und Halim nutzten diese Lücke aus und fingen an, Charterflüge mit der DDR-Airlines-Interflug vom Flughafen Schönefeld zu organisieren. Baba war deswegen oft in Ostberlin. Er war der einzige türkische Unternehmer, der einen Geschäftsvertrag mit der Interflug bekam. Baba kannte viele einflußreiche SED-Leute in der DDR.(S. 25)

Somit ist auch festzustellen, dass der Ich-Erzähler umgangssprachliche und derbe Begriffe verwendet, sobald er emotional involviert ist.[5]

Hasans Gebrauch von anglo-amerikanischen Ausdrücken, wie bereits in Kapitel 4.2.2 aufgeführt, wird ebenfalls zur Umgangs- oder auch Jugendsprache gezählt: „Ey man“ (S. 45), Story (S. 162) oder „piss off“ (S. 251).

Die anderen Figuren in Selam gestalten ihre Rede auch meist umgangssprachlich, jedoch ihrem Alter und ihrer „sozialen Herkunft“ entsprechender. Die Studentin Leyla, die Hasan seit Kindertagen kennt, artikuliert sich zwar umgangssprachlich – „Diese Blabla-Typen kommen aus Kleindingsda“ (S. 376) –, jedoch nicht vulgär, sie verwendet darüber hinaus häufig Fremdworte (Geigenvirtuose (S. 377)). Hasan berichtet über sie: „Leyla war im Vergleich zu denen eine Politikerin, eine Frau von Welt“. Dieses Bild von der Figur Leyla wird hauptsächlich durch ihre Artikulationsweise gezeichnet [1] Bachtin, Ästhetik, S. 157.

[2] Vgl. Fix, Stilistik, S. 62.

[3] Ebd., S. 62

[4] Ebd., S. 62.

[5] Vgl. Fix, Stilistik, S. 63.

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