aus: Fachbuch "Der Schirach Bunker"

Erstes Kapitel meines Buches über den Nazi-Kommadobunker in Wien

Mythen, Fragezeichen, erste Schritte

Ich bin in Penzing und Ottakring aufgewachsen, dem 14. und 16.

Erstellt von aha_vienna vor 8 Jahren
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Wiener Gemeindebezirk. In den späten 70er und 80er Jahren waren vor allem die Straßen und engen Gassen Ottakrings ein Abenteuerspielplatz für uns junge Buben. Der Bezirk war – im Gegensatz zu heute – ein typischer Wiener Vorort, in dem hauptsächlich Arbeiter und Angestellte zu Hause waren. Erst später mausert er sich zu einem begehrten Wohnbezirk. Durch die Lage am Stadtrand, verkehrsgünstig gelegen und doch im Grünen, stiegen die Miet- und Grundstückspreise, das liebenswert-schmuddeligen Flair verschwand.

Viele der Altbauten in den engen Gassen zwischen der Thaliastraße, der Koppstraße, Gablenzgasse und der Schmelz wurden renoviert und haben die Patina der Vorstadt verloren. Die „Arbeiterboulevards“ wirken gepflegter und schöner. Versteckt in manchen Winkeln hat sich Ottakring ein Stück Flair von damals bewahrt. Es gibt ihn noch, den Greißler von nebenan, den Fleischer, bei dem der Einkauf bei einem Viertel Wein länger dauern darf. Und da ist selbst verständlich noch der multikulturelle Schmelztiegel Brunnenmarkt.

Man kann sich vorstellen, wie es am Beginn des 20. Jahrhunderts hier zugegangen sein möge. Die Tschechen, die Böhmen, die Slowaken, Ungaren und andere Völker aus der Habsburgermonarchie prägten mit ihren Geschäften, Ständen und Gasthäusern das Bild, an der Bassena tauschte man Klatsch und Tratsch aus. Heute beleben ehemalige Gastarbeiter, deren Kinder längst Österreicher sind, die Viertel. Schließt man die Augen, glaubt man sich schnell in einem orientalischen Basar wieder zu finden.

Am Stadtrand darf es „dörfeln“. Allerdings muss man an den Stammtischen in den Vorstadtgasthäusern, beim Heurigen oder Smalltalk im Beserlpark schon genau zuhören, wenn die Vergangenheit lebendig wird...

Ich hörte zum ersten Mal von meinem Vater von jenem geheimnisvollen Bunker, der sich unter der Jubiläumswarte, einem Aussichtsturm auf dem Gallitzinberg in Wien-Ottakring, befindet. Mein alter Herr, selbst ein waschechter Ottakringer Jahrgang 1942, kann sich noch gut erinnern: Bereits in seiner Kindheit, nur wenige Jahre nach der Befreiung Wiens, kursierten die ersten Gerüchte um den „Schirach Bunker“. In dem Bunker, so erzählte man sich in den 50er Jahren, sollen in den letzten Kriegstagen Wagen beladen mit Schätzen – Gold und Kunstwerken –, aber auch brisante Dokumente versteckt worden sein! Dann, als die Rote Armee die Außenbezirke Wiens erreichte, soll ein Sprengmeister der Deutschen Wehrmacht die Eingänge des riesigen Labyrinths gesprengt haben, um den Besatzern die Kriegsbeute streitig zu machen. Und seither soll von Schirachs Schatz im Berg schlummern...

Der Grund für die Gerüchte lag auf der Hand: Gauleiter Baldur von Schirach, Hitlers Stadthalter in Wien, war bekannt für seine Vorliebe für edle Kunstwerke. Er, der fünf Jahre lang oberster Herr der Stadt war, hatte sein Hauptquartier in der Wiener Hofburg eingerichtet, einer der Schatzkammern Österreichs. Nun fehlen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wichtige Stücke aus den Sammlungen aber auch aus privatem, meist jüdischem Besitz. Es lag auf der Hand, dass es nicht im Interesse von Schirachs war, dass seine Kunstschätze in feindliche Hände fallen. Sind sie im Bunker versteckt?

Gold und Kunstschätze tief unter dem Boden des Wienerwaldes? Eigentlich eine absurde Idee. Wieso hat bisher niemand ernsthaft versucht, den vermeintlichen Schatz zu heben? Eine mögliche Antwort liefert der Volksmund. Es sei nicht nur Gold gewesen, das in den Bunker geschafft worden ist: Dokumente, die Politiker des Nachkriegsösterreich belasten können, wären ebenfalls beiseite geschafft worden. Das sei eigentlich der wahre Grund, weshalb man sich seitens der Stadt Wien in den vergangenen Jahrzehnten beharrlich geweigert hatte, den Bunker zu öffnen. Das klang auch für mich plausibel.

Erst viel später stellte ich Fragen. Eine Dokumentation über Hitlers Führerbunker in Berlin weckte mein Interesse. Das völlig zerstörte Bauwerk wurde unter einem Parkplatz lokalisiert, alte Fotos und moderne Technik ermöglichten eine Rekonstruktion am Computer. So fiel mir die Legende um Schirachs Bunker wieder ein: Es wäre doch eine tolle Story, dieses „Geheimnis“ aus der Nazi-Zeit zu lüften – wenn es denn überhaupt ein Geheimnis gibt. Seit Jahrzehnten hatte das Bauwerk, das bis auf seine gesprengten oder zugemauerten Eingänge noch intakt sein müsste, niemand mehr betreten.

Das ist der Stoff aus dem Abenteuergeschichten gemacht sind! Einem kurzen, ersten Konzept folgte ein zufälliges Gespräch mit meinem Kollegen, dem Journalisten Martin Wolfram. „Das machen wir“, waren wir uns einig, eine lange Zusammenarbeit – und Freundschaft – entwickelte sich. Im März 2003 war der erste Schritt getan.

Dass Wolfram den Kontakt zu DDr. Oliver Rathkolb, dem wissenschaftlichen Leiter des Demokratieinstituts Wien herstellte, war nur einer der vielen glücklichen Zufälle, die uns in den kommenden Monaten begleiten sollten. Rathkolb war sofort begeistert: Als Kenner der Biografie von Schirachs und als Experte für Zwangsarbeiter während der Nazi-Besatzung war er einer der wenigen Menschen, die mit „unserem“ Bunker etwas anfangen konnten. Schon beim ersten Treffen erzählte er von von Schirach, der mehr als 60.000 Wiener Juden in die Gaskammern transportieren ließ. Von seiner Position als Führer der Hitlerjugend und später als Gauleiter. Er berichtete von Schirach dem Kunstkenner und Mäzen – ein scheinbar absoluter Widerspruch zum Massen mordenden Stadtkommandanten!

Rathkolb war es auch, der den vorläufigen Namen für unser Projekt vorschlug. Sein Mäzenatentum hatte Baldur von Schirach den Spitznamen „die Pompadour von Wien“ eingetragen. Er hatte sein Füllhorn über die lokalen, regimekonformen Künstler ausgeschüttet: Sogar als die Front immer näher kam, widmete sich der Gauleiter den schönen Künsten. Das „Projekt Pompadour“, das die Öffnung, Erforschung und Dokumentation des Schirach Bunkers zum Ziel hatte, war geboren.

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