Textauszug aus meiner Erzählung "Fahrstuhl abwärts"

In dem Maße, wie er und Yannick sich in den kommenden Wochen durch die gemeinsame Arbeit näher kamen, entfernten sich Siggi und Sandra voneinander. Siggi fiel es nicht einmal auf, dass Sandra kaum einen Abend zu Hause verbrachte. Er selbst arbeitete beinahe rund um die Uhr in der Agentur. Yannick war meist um ihn. Bei der Arbeit am Allied Bats Etat hatte er sich schnell als Insider entpuppt. Er kannte die Online-Communities, die Vor- und Nachteile des Materials, war Dicke mit dem Düsseldorfer K.I.N.G. der Szene. War dort so eingebunden, wie Siggi in der Snowboard-Szene, damals, in den Achtzigern.

Erstellt von Schreibcoach vor 11 Jahren
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Wie damals häuften sich die Abende mit Pizza, Dosenbier und Brainstormings, die Beine ausgestreckt auf dem Schreibtisch. Sandra registrierte die Veränderung, zog ihre Schlüsse aus Siggis neuer Zweisamkeit, kommentierte nicht, fragte nicht. Stattdessen sortierte sie ihr Leben neu.

Siggi fühlte sich großartig, wenn er mit Yannick herumalberte. Überall entdeckte er Zeichen. Ihre gemeinsame Vorliebe für Thunfischpizza. Ihre Angewohnheit, die Augen zu schließen und den Finger an den linken Nasenflügel zu legen bei heftigem Nachdenken. Ihre Begeisterung für Geschwindigkeit. Nach einem dieser Pizzaabende schlug er Yannick eine Aktion vor, an die er seit Ewigkeiten nicht gedacht hatte: Frühstücken in Zandvoort, ein paar Runden auf der Rennbahn drehen und ab die Post zurück nach Düsseldorf. Eine Spritztour. Mit Chris habe er das früher häufig durchgezogen, um den Kopf frei zu kriegen, erzählte er. „Spritztour?“ Yannick lachte. „Das Wort benutz doch sonst nur meinem Vater.“ Siggi zuckte. „Wie ist er denn so, dein Vater“, fragte er betont beiläufig. „Cooler Typ, echt. An seiner Schule ist er Vertrauenslehrer.“ Siggi wechselte abrupt das Thema. Doch mit der Diskretion eines Privatdetektivs sammelte er in den folgenden Tagen Zusatzinformationen. Legte sich in der Mittagspause vor der Schule auf die Lauer um einen Blick zu werfen auf den Rivalen. Parkte am nächsten Wochenende unauffällig vor dem Einfamilienhaus von Yannicks Eltern. Nein. Dieser Kleingärtner in ausgebeulten Cordhosen konnte unmöglich Yannicks Vater sein! Yannicks Mutter entpuppte sich leider auch nicht als die Dame aus dem Fahrstuhl. Aber es könnte ja auch jede andere sein. Was seinen Teil anbelangte würde der Sache auf den Grund gehen. Ganz einfach. Ein paar Haare aus dem Basecap, eine Speichelprobe von ihm selbst, in den Umschlag damit und abwarten.

 

Die Erzählung erschien in der Anthologie "...Und dann ging die Geschichte erst richtig los", Hrsg. Guido Rademacher, Schibri-Verlag 2011

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