Feministische Verkehrs- und Raumplanung und Feministische Kritik an Stadt und Raum

 

Einleitung


Dieser Arbeit will eine kurze Einführung in die feministische Perspektive der Verkehrs- und Raumplanung geben. Anhand des Aufsatzes „Feministische Verkehrs- und Raumplanung“ von Christine Bauhardt und des Aufsatzes „Raum: Feministische Kritik an Stadt und Raum“ von Ruth Becker sollen nicht nur die wichtigsten Eckpunkte feministischer Kritik dargestellt werden, sondern auch die Unterschiede zwischen feministischer Wissenschaft und Gender Mainstreaming skizziert, und die Entwicklungsgeschichte der feministischen Kritik in der Verkehrs- und Raumplanung dargestellt werden. Im abschließenden Teil werden schließlich Lösungsansätze und Visionen der genannten Autorinnen vorgestellt, die auf eine nachhaltige Verkehrspolitik abzielen.

Erstellt von mottke vor 11 Jahren
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Feministische Kritik und Gender Mainstreaming
Nach Bauhardt richte die feministische Wissenschaft den Fokus nicht auf Frauen, sondern auf das Geschlechterverhältnis. Dieses sei bestimmt durch einen Vergesellschaftungsprozess, in dem Männer und Frauen sozial platziert würden, wobei die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht als Platzanweiser innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen diene. In der feministischen Kritik diene die Untersuchung von der Geschlechterdifferenz dabei als ein Instrument zur Legitimation von Herrschaft. Die Gender-Perspektive ginge darüber hinaus davon aus, dass die Vergesellschaftung eben nicht nur Frauen, sondern auch Männer betreffe. Sie sehe die Zweigeschlechtigkeit als eine soziale Konstruktion, die eben nicht biologisch determiniert sei. Grundsätzlich könne dabei eine Dominanz der Männlichkeit über die Weiblichkeit beobachtet werden. Es sei aber gerade eine zentrale Erkenntnis der Gender-Analyse, dass die postulierte Zweigeschlechtigkeit nicht immer mit den empirischen Menschen identisch sei. Im Gegensatz zu einer androzentrischen Sichtweise, die das männliche Modell als die neutrale Norm wahrnehme, wohingegen das weibliche Modell als etwas besonderes, von der Norm abweichendes dargestellt werde, werden Frauen und Männer als jeweils fünfzig Prozent der Bevölkerung wahrgenommen und somit konsequenter anerkannt, dass hierbei keine der beiden Seiten die Norm darstellen könne. Tatsächlich würde der Gender-Ansatz teilweise auch dafür gebraucht, sich von einem feministischen Ansatz abzugrenzen, dem unterstellt würde, eben diese androzentrische Sichtweise nur im Hinblick auf die Frauen umzukehren.

 

 

Entwicklung Feministischer Kritik


Für Ruth Becker ist der Ausgangspunkt der feministischen Stadt- und Raumforschung die Annahme, dass sich gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse immer auch in den räumlichen Strukturen wiederfinden ließen. Räume seien vergeschlechtlicht, da sie immer auch ein soziales Phänomen darstellten, welches durch Gesetze und natürliche Gegebenheiten ebenso bestimmt würde wie durch Kultur, Symbole und Prägungen. Feministische Forschung untersuche eben diese Wechselwirkungen zwischen Raum und Geschlecht und habe in den letzten Jahrzehnten immer auch emanzipatorische Gegenentwürfe entwickelt. Dabei startete die feministische Diskussion über die Stadt- und Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland in den siebziger Jahren. Hier stand vor allem die Architektur sowie die Stadtplanung unter Kritik, da diese nicht nur nicht auf die von Frauen ausgeführte Reproduktionsarbeit Rücksicht nehme, diese vielmehr noch behindere. Bauhardt führt an, dass die produktivste Zeit der feministischen Verkehrs- und Raumforschung in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts gewesen sei, aktuell jedoch ein Stillstand eingesetzt habe. Der Schwerpunkt feministischer Ansätze habe sich hin zur Umsetzung von Gender-Mainstreaming- Maßnahmen verschoben. Als Gründe dafür sieht sie zum einen die starke Konzentration der feministischen Verkehrskritik auf eine starke Hand des Staates, die auch nach dem Politikwechsel zu rot-grün Ende der neunziger Jahre enttäuscht worden sei. Zum anderen sieht sie als Grund die sehr schwache Position von sozialwissenschaftlichen und feministischen Ansätzen in den Ingenieurs- und Verkehrswissenschaften. „Inter- oder gar transdisziplinäre Zusammenarbeit wird fachwissenschaftlich nicht honoriert, wenn das fehlende Ingenieursdiplom den Zugang zu Reputation und akademischen Berufs- und Aufstiegschancen im verkehrswissenschaftlichen Feld verwehrt. Dies trifft feministische Ansätze umso stärker, als hier mangelnde Anerkennung von sozialwissenschaftlicher und feministische Forschung kumulieren (Bauhardt, 302).

 


Kritikpunkte


Für Bauhardt sind die „analytischen Leitkategorien“ der feministischen Verkehrsforschung die Reproduktionsarbeit und die reproduktiven Bedürfnisse. Reproduktionsarbeit stelle dabei den Gegenbegriff zur Lohnarbeit dar. Sie würde aus den Sphären der Öffentlichkeit ausgeschlossen, finde also im privatem Rahmen statt. In patriarchalischen Gesellschaften sei es typisch, dass Reproduktionsarbeit in den Zuständigkeitsbereich von Frauen fiele und gesellschaftlich nur wenig Anerkennung erhalte. Als zweite Leitkategorie sieht Bauhardt die doppelte Vergesellschaftung von Frauen, die heute meist sowohl einer reproduktiven Tätigkeit wie einer Produktionsarbeit nachgingen, was bei Männer nach wie vor seltener zu beobachten sei. Heutige Verkehrsplanung orientiere sich jedoch ausschließlich an Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen und negiere damit, dass sich auch die Erwerbstätigen geschlechtsspezifisch unterschieden. Sie lege ihrer Planung ausschließlich das Mobilitätsmuster eines Erwerbstätigen zugrunde, der von seinem Wohnort zur Arbeit und wieder zurück fahre, also eine Pendelmobilität. Um dieser Pendelmobilität entgegen zu kommen, setze die Verkehrsplanung auf Beschleunigung, Raumüberwindung und quantitative Mobilität. Raum und Zeit würden damit ausschließlich als ökonomische Kriterien verstanden, nicht aber auch als soziale Kriterien, die für reproduktive Bedürfnisse und die Lebensqualität vonnöten seien. In der Verbindung zwischen Reproduktions- und Erwerbsarbeit entstünden jedoch sehr viel komplexere Wegeketten, die es in den Blick zu nehmen gelte.
Weitere Kritikpunkte der feministischen Forschung beziehen sich zum Beispiel auf die Grundrisse von Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus, Myra Wahrhaftig hat hier vom „Emanzipationshindernis Wohnung“ gesprochen. Als Beispiel führt Becker hierbei die Küche an, deren Größe der doppelten Herausforderung einer Hausfrau, die neben der Hausarbeit meist auch eine Betreuungsarbeit verrichtet, nicht gerecht würde. Zudem verhindere die Größe der Küche eine partnerschaftliche Zusammenarbeit bei der Hausarbeit. Auch wenn sich seit den siebziger Jahre bereits einiges verbessert habe, so könne die Forderung „Raum für Hausarbeit“ als räumliche Dimension der Forderung „Lohn für Hausarbeit“, die an Aktualität nichts eingebüßt hat, verglichen werden. Auch Siedlungsstrukturen, die sich durch eine starke Trennung der verschiedenen Lebensbereiche „Wohnen“, „Arbeiten“ oder „Erholung“ auszeichnen, sind Gegenstand der Kritik. Hierbei würde zum einen verkannt, dass für Frauen die Wohnung meist eben nicht nur als Raum der Erholung diene, sondern auch Arbeitsplatz sei. Zum anderen führten die räumliche Distanz zwischen Arbeitsstätten und Siedlungen häufig zu einer Benachteiligung von Frauen, die durch den zusätzlichen Betreuungsauftrag eben gerade auf räumliche Nähe und kurze Wege angewiesen seien. Im Ergebnis seien Frauen häufig gezwungen, Arbeitsstellen aufgrund von räumlichen Kriterien anzunehmen, und müssten dabei oft auf Tätigkeiten zurück greifen, die unter ihren eigentlichen Qualifikationen liegen. Als ein Erfolg feministischer Kritik müsste, so Becker, die Etablierung des Begriffs des „Angstraumes“ gesehen werden. Dieser entsprang aus der Beobachtung, dass Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum häufig an unübersichtlichen oder baulich nicht einsehbaren Orten stattfinde. Becker wendet jedoch ein, dass dieser Begriff mittlerweile auch kritisch gesehen wird. „Eingewandt wird, dass der Begriff das eigentliche Problem, die Männergewalt gegen Frauen, unsichtbar mache und den vorherrschenden Diskurs, Männergewalt sei eine gesellschaftlich geächtete Tat eines „Fremden“, unterstütze. Damit werde das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen verdeckt und von den für Frauen wirklich gefährlichen Räumen, dem persönlichen Nahfeld und der Wohnung abgelenkt“ (Becker, 656).

 


Lösungsansätze und Visionen


Bauhardt nähert sich möglichen Lösungsansätzen zunächst über die von Susan und Norman Fainstain definierten, vier möglichen Planungstypen, die in der Verkehrspolitik angewandt werden könnten. (1) Traditionelle Planung beruhe auf einem technokratischen Planungsansatz, die wissenschaftliche Qualifikation von Planerinnen und Planern verhindere hier die Realisierung spezifischer Interessenlagen. Technische und industrielle Modernisierung seien hier die Grundlage jeder sozialer Ordnung, Städtebau also eine Möglichkeit, die soziale Ordnung zu steuern. (2) Der demokratische Planungsansatz wendet sich gegen das klassische Top-Down- Verfahren der Planung. Demokratische Planerinnen und Planer stehen stellvertretend für eine Gruppe von Bürgern bzw. bestmöglich für eine Mehrheit von Bürgern, deren Interessen sie realisieren. (3) Die ausgleichende Planung bzw. das Equity Planning sieht sich als politischen Prozess, greift auch den demokratischen Planungsansatz auf, erkennt jedoch das Vorhandensein von unauflösbaren Widersprüchen an. Strukturelle Minderheiten würden hierbei in den Blick genommen. Und (4) die inkrementalistische Planung, welche sich keine langfristigen Ziele setze, sondern vielmehr ausgehend vom Konsens der aktuellen Situation, Entscheidungen trifft. Hierbei wird eine Vielzahl von verschiedenen Einzelinteressen anerkannt. Tatsächlich handele es sich bei dem inkrementalistischen Planungsansatz um den zur Zeit präferierten, was jedoch einer Einführung des Instruments des Gender Mainstreaming diametral entgegen stehe, da hier eben keine Analyse von Machtasymmetrien und deren langfristiger Abbau möglich sei. Burckhardt plädiert vielmehr für eine stärkere Einbeziehung der feministischen Perspektive auf eine nachhaltige Entwicklung in die verkehrspolitische Debatte, die eine Veränderung der ökonomischen Strukturen und der politischen Entscheidungsprozesse vorsehe. Im Gegensatz zum herkömmlichen Verständnis der nachhaltigen Entwicklung, einigte sich der Weltkongress der Frauen 1991 in Miami auf den Nachhaltigkeitsbegriff des sustainable livelihood. Dessen zentrale Forderung sei es, „die Chancen der Menschen auf selbstbestimmte Ressourcennutzung und Lebensgestaltung zu erhöhen“ (Burkhardt, 312). Demnach müsse ein Mensch-Natur-Verhältnis gestaltet werden, das sich durch eine fehlende Geschlechterhierarchie und das Fehlen der androzentrischen Weltsicht auszeichne. Umgesetzt für die Verkehrspolitik stelle sich also die Frage, wie Verkehrskonzepte, die die natürlichen Ressourcen schonten und ein egalitäres Geschlechterverhältnis förderten, entwickelt und umgesetzt werden könnten. Als eine Möglichkeit hierfür sieht Bauhardt den Equity Ansatz, der feministische Planungskritik mit einem auch theoretisch untermauerten Praxisansatz verknüpfe. Gender Mainstreaming würde hier als analytisches Instrument eingesetzt werden, welches patriarchalische Strukturen entlarve, das staatliche Handeln mit dem Ziel der ausgleichenden Gerechtigkeit könnte schließlich die zentralen Schritte zur Bekämpfung der Ungleichheit in die Wege leiten. Inwiefern sich dies jedoch tatsächlich verwirklichen lasse, sei ungewiss, so Bauhardt. Schließlich weise die feministische Kritik auch nach, mit wie vielen unterschiedlichen Problemkonstellationen ein emanzipatorisches Verkehrs- und Raumkonzept zu kämpfen habe.
Auch Becker zieht in ihrem Aufsatz abschließend ein eher gemischtes Fazit. Zwar bezeichnet sie die feministische Kritik an Stadt- und Raumplanung insgesamt als eine Erfolgsgeschichte, da eine Entwicklung weg von der Funktionstrennung hin zur Nutungsmischung zu beobachten sei, frauenfreundliche Planung nicht mehr nur auf taube Ohren stoße und auch Gender Mainstreaming Eingang in den politischen Betrieb genommen habe. Dennoch seien viele Erfolge nur punktuell, neueste wissenschaftliche Konzepte würden in der Planungspraxis oft nicht berücksichtigt werden, allgemein sei eine Stagnation in der Weiterentwicklung feministischer Konzepte zu beobachten. Ein Ansatzpunkt könnte dabei die Reaktion auf vorhandene Retraditionalisierungsprozesse sein, die bisher jedoch kaum thematisiert würden.

 


Vgl. die vollständigen Angaben im Literaturverzeichnis.

 


Literatur


Bauhardt, Christine (2007): Feministische Verkehrs- und Raumplanung. In: Schöller, Oliver, Canzler, Weert, Knie, Andreas (Hg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 301- 319.
Becker, Ruth (2004): Raum: feministische Kritik an Stadt und Raum. In: Becker, Ruth & Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 652-664.

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