Ferdinand de Saussure >> Cours de linguistique génerale

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert

3 Wissenschaftlicher Werdegang

4 Problem der Authentizität

5 Der >> Cours de linguistique générale <<

5.1 „Langage“, „Langue“, „Parole“

5.2 „Synchronische“ und „diachronische“ Betrachtungsweise

5.3 Das sprachliche Zeichen

5.4 Arbitrarität des Zeichens

6 Methodologische Einordnung und Wirkung

7 Fazit

8 „Eidesstattliche Versicherung“

9 Literatur und Quellenverzeichnis

Erstellt von liina vor 8 Jahren
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1 Einleitung

„Bei ihm laufen viele Fäden der Vergangenheit zusammen, und alle Fäden der Zukunft gehen von ihm aus. Er hat, ohne es eigentlich zu wollen, eine‚ kopernikanische Wendeʼ in der Sprachwissenschaft herbeigeführt.“ 1

Ich möchte mich im Rahmen dieser Hausarbeit dem Werk und Wirken des Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure annähern. De Saussure gilt heute als eine der wichtigsten Figuren im Diskurs um den Begriff des „Linguistic Turn“, einem Paradigmenwechsel in Geistes- und Kulturwissenschaften, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts herausbildete und weit über die Sprachphilosophie hinaus seine Spuren hinterlassen hat. Zahlreiche Denker des 20. Jahrhunderts haben sich an Ferdinand de Saussures Zeichentheorie angelehnt, sie auf andere wissenschaftliche Bereiche übertragen und in verschiedenen Kontexten weiterentwickelt. Ziel dieser Hausarbeit ist es Schritt für Schritt herauszuarbeiten warum der Linguist Ferdinand de Saussure heute eine so prominente Stellung innerhalb der Kultur- und Geisteswissenschaften einnimmt. Wie genau entsteht die Verbindung zwischen seinen sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen und den weit über die Linguistik hinausreichenden Theorien von Strukturalismus und Poststrukturalismus? Worin unterscheidet sich Saussures sprachwissenschaftliches Interesse von dem der im 19. Jahrhundert tonangebenden Junggrammatiker? Wie ist sein Ansatz einer synchronen Sprachbetrachtung methodologisch einzuordnen?

Wie definiert er die menschliche Sprache und das sprachliche Zeichen? Was bedeutet „Arbitrarität“, und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Dies sind die wichtigsten Fragen, die mich beim Verfassen dieser Hausarbeit leiten sollen. Ich möchte versuchen das theoretische Gebäude des „Cours de linguistique generale“ möglichst gut anhand von Beispielen und Abbildungen zu veranschaulichen und dabei den jeweiligen Bezug zu den sich ergebenden Konsequenzen für Kultur- und Medientheorien herauszustellen.

1

Hildenbrandt, S. 9

Schließlich möchte ich einen kurzen Ausblick auf die Weiterentwicklung Saussures zentraler Thesen im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts geben und abschließend ein persönliches Fazit ziehen.

2 Sprachwissenschaftliche Situation im 19. Jahrhundert Das Zentrum der sprachwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts bildete die Frage nach den historischen Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnissen der unterschiedlichen Sprachen.

Ausgelöst durch die Beobachtungen des britischen Juristen und Sanskritgelehrten Sir William Jones über die verwandtschaftlichen Beziehungen des Sanskrit zum klassischen Griechisch oder Latein, welche er 1786 in „The Sanscrit Language“ publizierte, konnte sich die historisch – vergleichende Perspektive in der allgemeinen Sprachforschung etablieren.

Als der deutsche Linguist und Sanskritforscher Franz Bopp 1816 in seinem Erstlingswerk „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ den methodischen Beweis für die Verwandtschaf dieser Sprachen erbrachte, begründete er damit die sogenannte Indogermanistik als Wissenschaft.

Die Indogermanisten untersuchten zunächst die unterschiedlichen Sprachen systematisch auf Ähnlichkeiten in Phonologie, Morphologie und Syntax um auf dieser Grundlage nach spezifischen Gesetzen zur Erklärung der Entwicklung der Einzelsprachen zu forschen.

Mitte des 19. Jahrhunderts stellte August Schleicher inspiriert durch die Theorien Charles Darwins sogar die Hypothese einer „indogermanischen Ursprache“ auf und entwickelte infolgedessen ein phylogenetisches Stammbaummodell, in welchem er die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachfamilie zu rekonstruieren versuchte. Schleicher fasste die Linguistik nicht mehr als geisteswissenschaftliche, sondern als streng naturwissenschaftliche Disziplin auf.

Diese Tendenz spitzte sich allgemein unter Einfluss des frühen Positivismus zu und gipfelte Ende der 1870er Jahre schließlich in der Schule der Junggrammatiker um Karl Brugmann, Karl Verner, Hermann Osthoff und August Leskien. Die programmatische These von der „Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze“

2

ist für sie zentral. Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse sollten - ganz nach postivistischem Credo - ausschließlich auf nachprüfbaren Fakten und Tatsachen beruhen.

„Denn ‚weg mit allen Abstraktionenʼ muß für uns das Losungswort sein, wenn wir irgendwo die Faktoren des wirklichen Geschehens zu bestimmen versuchen wollen.“ 3 3 Wissenschaftlicher Werdegang Bei Karl Brugmann begann Ferdinand de Saussure 1876 sein Studium der Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig. Erste wissenschaftliche Arbeiten waren demzufolge auch der junggrammatischen Schule verpflichtet.

Das insgesamt 4 Jahre andauernde Studium in Leipzig unterbrach Saussure 1878/79 nur durch einen kurzen Studienaufenthalt in Berlin, wo er bei dem Philosophen und Philologen Heymann Steinthal „bereits Grundzüge einer Sprachphilosophie [kennenlernte], die sich für die Entwicklung des Strukturalismus fruchtbar machen ließen.“ 4

1880 reichte Saussure seine von der Fakultät als herausragend gewürdigte Dissertation „De lʼemploi du génitif absolu en sanscrit“ ein.

Aufkommende Differenzen zum Ansatz der junggrammatischen Schule und gute Kontakte nach Paris als Mitglied der „Societé linguistique de Paris“ bewegten ihn 1881 seine Studien dort und nicht in Leipzig fortzuführen.5

Es begann nun eine 10-jährige erfolgreiche Zeit in Paris. Saussure bekam einen Lehrstuhl an der École Pratique des Hautes Études, wurde Sekretär der „ Societé linguistique de Paris“ und pflegte Kontakte zu zahlreichen führenden Sprachwissenschaftlern der Zeit. 1891 verließ er Paris und trat eine Professur für Geschichte und Vergleich der indogermanischen Sprachen in Genf an. Neben Sanskrit, Griechisch und Latein lehrte er ab 1897 auch Gotisch, Althochdeutsch, Altsächsisch, Mittelhochdeutsch und Altnordisch.6

2

http://wapedia.mobi/de/Junggrammatiker

3

Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, 6. Aufl., Darmstadt 1960, S.11

4

Peter Prechtl, S.12

5

vgl. Prechtl, S. 12 und Thomas M. Scheerer, S.4

6 vgl. Scheerer S.4

Nach dem Tod Joseph Wertheimers übernahm Saussure 1906 dessen Lehrstuhl für allgemeine Sprachwissenschaft.7 6

In den nun folgenden Jahren hielt er drei Vorlesungen, aus welchen später sein berühmtestes und wirkungsvollstes Werk, der „Cours de linguistique générale“ entstehen sollte.

1912 musste er in Folge einer schweren Erkrankung seine Lehrtätigkeit einstellen. Er starb 1913 in Vuffles-sur-Morges im Schweizer Kanton Waadt.8

4 Problem der Authentizität Zu Lebzeiten erlangte Ferdinand de Saussure vorallem für seine Forschungen auf dem Gebiet der Indogermanistik große Anerkennung.

Heutzutage bezeichnet man ihn dagegen oft als „Vater der Linguistik“, „Begründer [...der..] moderne[n] Sprachwissenschaft“ , oder gar „Initiator des Strukturalismus schlechthin“. 9 Dabei muss stets berücksichtigt werden, dass der 1916 erschienene „Cours de linguistique général“ kein von Saussure eigens verfasstes, vollendetes Lehrwerk darstellt, sondern postum, durch die

Iniative seiner damaligen Freunde und Kollegen A. Sechehaye und C. Bally,

aus Notizen und Vorlesungsmitschriften seiner Studenten rekonstruiert wurde. Die eigenen Vorlesungsmanuskripte hatte Saussure sogar vorsätzlich zerstört, weil er von deren Veröffentlichung absehen wollte.10 Wenn man

also im CLG auf Widersprüchlichkeiten oder starke Vereinfachungen stößt, so ist dies auch immer vor diesem Hintergrund zu betrachten. Obwohl Saussure vielen als der „Begründer der strukturalistischen Theorie“ 11 gilt, taucht außerdem an keiner Stelle das Wort „Strukturalismus“ als solches auf, vielmehr ist vom Begriff des „Systems“ die Rede (z.B. Sprache als System von Zeichen).

7 vgl. Scheerer S. 6

8 vgl. Prechtl S. 14

9 vgl. Scheerer S. IX.

10 vgl. Brügger/Vigsø, S.11

11 ebd.

5 DER COURS DE LINGUISTIQUE GÈNÈRALE 5.1 Langage, Langue, Parole Saussure fragt sich zunächst einmal was eigentlich genau Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung ist. Es ergeben sich hierbei mehrere Schwierigkeiten den Begriff der „menschlichen Rede“ überhaupt klar und eindeutig zu erfassen. Man kann sie untersuchen, indem man ihre physischen ( z.B. die Schwingungen in der Luft ), ihre physiologischen ( z.B. >Bewegung von Zunge und Lippen beim Sprechen ) oder ihre psychischen Merkmale berücksichtigt. Außerdem kann man sowohl den individuellen Sprachgebrauch eines Sprechers, als auch die menschliche Rede als soziales Phänomen erforschen.12

„Die menschliche Rede als Ganzes genommen, ist vielförmig und ungleichartig; verschiedenen Gebieten zugehörig, zugleich physisch, psychish und physiologisch, gehört sie außerdem noch dem sowohl dem individuellen als dem sozialen Gebiet an; sie lässt sich keiner Kategorie der menschlichen Verhältnisse einordnen, weil man nicht weiß, wie ihre Einheit abzuleiten sei.“13 Um diesem Dilemma auszuweichen führt Saussure eine Dreiteilung der komplexen sprachlichen Erscheinungen ein.

12 vgl. Brügger/Vigsø S.13 13 Ferdinand de Saussure, „Cours de linguistique générale“, S.11 Die „Langage“ kann bei Saussure, je nach Kontext, sowohl die allgemeine

Fähigkeit des Menschen zu sprechen bedeuten, als auch als Überbegriff für die Menge aller sprachlichen Erscheinungen gelten. Sie eignet sich für ihn als Gegenstand der Sprachwissenschaft aus den oben bereits genannten Gründen nicht.14 „Langue“ und „Parole“ sind beide Teil der „Langage“.

Die „Langue“ kann man sich vorstellen als eine Art Wortschatz, der durch„die Praxis des Sprechens“ (Parole) in den Gehirnen der Individuuen bzw.

der Gesamtheit von Individuuen niedergelegt wird. Die Langue ist in keinem einzelnem Gehirn vollständig, sondern existiert quasi erst in der Masse der Gehirne aller Individuuen vollkommen.15

Die Regeln des Sprachsystems (Langue) werden von der sprechenden Person „in passiver Weise einregistriert“16, d.h. sie setzen „niemals eine vorherige Überlegung voraus“17, und sind bereits fest eingebettet.

„Das Sprechen [Parole] ist im Gegensatz dazu ein individueller Akt des Willens und der Intelligenz...“ 18 insofern, dass der Sprechende dabei die in der Langue vorhandenen Bedeutungen aktiviert um sich zu artikulieren. Er entscheidet zwar was er sagen möchte, kann aber nicht entscheiden, ob er die Regeln der Sprache (Langue) benutzen will oder nicht. Man kann keine Distanzierungsbewegung zur Langue vornehmen. Sie ist „wie der Horizont von dem nur Kinder meinen, man müsse nur weit genug gehen, um ihn zu überschreiten.“ 19 Langue und Parole stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander, sie bedingen sich gegenseitig. Durch das Sprechen bildet und verändert sich 14 vgl. Scheerer S.77 15 vgl. Saussure, S.16.16 ebd. 17 ebd.

18 ebd.

19 Verweyst, Das Begehren des Subjekts S. 306 die Langue, das Vorhandensein eines Sprachsystems (Langue) wiederum ist die Vorraussetzung für ein verständliches und sinnvolles Sprechen (Parole).

Saussure kommt zu dem Ergebnis, dass sprachwissenschaftliche Forschung „sich von Anfang an auf das Gebiet der Sprache [Langue]“ 20 mit ihrem systematischen Charakter konzentrieren „und sie als die Norm aller anderen Äußerungen der menschlichen Rede“ 21 erkennen muss.

5.2 Synchronische Betrachtungsweise Was die Sprachforschung Saussures im CLG von der damals vorherrschenden historisch - vergleichenden Methode unterscheidet, ist sein Ansatz die Sprache aus synchronischer Perspektive zu untersuchen. Die synchronische Sprachwissenschaft beschäftigt sich ausschließlich mit der Sprache als System zu einem bestimmten Zeitpunkt, und seinen immanenten wechselseitigen Beziehungen. Dabei interessiert sie sich im Gegensatz zur diachronischen Betrachtung, nicht für historische Entwicklungen und Veränderungen von Einzelphänomenen (z.B. einzelne Lautverschiebungen).

Saussure spricht einer diachronischen Betrachtungsweise durchaus ihre Berechtigung und Relevanz zu, erachtet es jedoch als unbedingt notwendig die beiden Disziplinen scharf voneinander zu trennen. Der Sprachforscher

„kann in das Bewusstsein der Sprechenden nur eindringen, indem er von der

Vergangenheit absieht. Die Hineinmischung der Geschichte kann sein Urteil nur irreführen.“ 22 Er argumentiert weiter, dass der synchronischen Betrachtungsweise eine wichtigere Rolle zukommt, da sie „die wahre und einzige Realität für die Masse der Sprechenden“23 darstellt. Für den Sprechenden ist es zunächst einmal irrelevant wie und in welchen Einzelphasen sich die Sprache historisch entwickelt hat.

20 vgl. Saussure, S.11

21 ebd.

22 Saussure, S.96

23 Saussure, S.107

Anhand des Beispiels von Quer- und Längsschnitt eines Baumstammes wird das Verhältnis zwischen synchroner und diachroner Sprachwissenschaft

veranschaulicht.

Im Längsschnitt sieht man die einzelnen „Fasern selbst, welche die Pflanze

bilden“24. Diese Perspektive entspräche in Bezug auf die Linguistik einer diachronischen Betrachtungsweise. Der Querschnitt hingegen zeigt uns die Beziehungen zwischen den einzelnen Fasern, „ihre Gruppierung auf einer bestimmten Ebene“25, äquivalent zum Sprachsystem zu einem bestimmten Zeitpunkt, also aus synchronischer Perspektive. „Die synchronische Sprachwissenschaft befasst sich mit logischen und psychologischen Verhältnissen, welche zwischen gleichzeitigen Gliedern, die ein System bilden, bestehen, so wie sie von einem und demselben Kollektivbewußtsein nicht wahrgenommen werden.“ 26

Die diachronische Sprachwissenschaft hingegegen untersucht „die Beziehungen, die zwischen den aufeinanderfolgenden Gliedern obwalten, die von einem in sich gleichen Kollektivbewusstsein nicht wahrgenommen werden, und von denen die einen an die Stelle der anderen treten, ohne daß sie unter sich ein System bilden.“27

24 Saussure, S.119

25 ebd.

26 ebd.

2 7 ebd.

5.3 DAS SPRACHLICHE ZEICHEN „Die Sprache ist ein System von Zeichen“28 Nach traditionellem Verständnis von Sprache funktionieren Wörter wie Etiketten für Dinge. Demzufolge haben wir zuerst in Gedanken eine Vorstellung von etwas, für das dann im zweiten Schritt ein Name gefunden wird. Mit der Umkehrung dieses Prinzips, das Jacques Derrida „Phonozentrismus“ nennt und als „Grundaxiom europäischer Metaphysik“ bezeichnet29 gilt Ferdinand de Saussure als Wegbereiter für einen Paradigmenwechsel, der sich über die Sprachwissenschaft hinaus im 20.

Jahrhundert auf Geistes- und Kulturwissenschaften ausgewirkt hat. Der Philosoph Richard Rorty bezeichnete diese Wende 1967 erstmals als den sogenannten „Linguistic Turn“30.

Um also die Tragweite der Saussureʼschen Sprachwissenschaft nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst einmal näher mit seinem Zeichenbegriff auseinandersetzen. Er entwirft ein dyadisches, zweigliedriges Zeichenmodell. Ein Zeichen besteht notwendig und untrennbar aus zwei Seiten. Nicht aus einer Sache und einem Namen, sondern aus einer Vorstellung und einem Lautbild.31 Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass das Lautbild nicht einem kustischen Laut entspricht, sondern vielmehr dem inneren, psychischen Eindruck dieses Lautes, vergleichbar etwa mit dem Vorgang wenn man sozusagen „lautlos“ mit sich selbst Gespräche führt.

28 Saussure, S. 19 29 vgl. http://www.uni-koeln.de/phil-fak/idsl/dozenten/wegmann/texte/artdek.html 30 vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns, S.34

31 vgl. Saussure, S.76

Um den Gegensatz zwischen Vorstellung und Lautbild hervorzuheben, ersetzt Saussure die beiden Begriffe durch „Signifié“ (dt. „Signifikat“), das Bezeichnete, und „Signifiant“ (dt. „Signifikant“), das Bezeichnende. Das Zeichen ist die Verbindung zwischen beiden Elementen.

5.4 ARBITRARITÄT

Gibt es so etwas wie eine natürliche Verbindung zwischen den Dingen und ihren Namen oder werden Bedeutungen erst durch Konventionen und Vereinbarungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft hergestellt? Dieses Problem wird bereits 399 v. Chr. von Platon in seinem „Kratylos“-

Dialog thematisiert.32 Im Gegensatz zu Platon der bezüglich der Beantwortung dieser Frage offen bleibt, bezieht Saussure im CLG klar Stellung zu Gunsten eines Konventionalismus.

Als ersten Grundsatz definiert er die Beliebigkeit des Zeichens.

„Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist

beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die assoziative Verbindung

einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch einfacher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig.“33 Ihm zufolge gibt es also keine natürliche, originäre Verbindung zwischen Signifikat und Signifikant. Dass die Vorstellung von dem kleinen, hüpfenden, grünen Tier mit dem Lautbild „Frosch“ assoziiert ist, gründet sich demnach auf nichts, als die reine Konvention.

32 vgl. Prechtl, S.70

33 Saussure, S.79

„Tatsächlich beruht jedes in einer Gesellschaft rezipierte Ausdrucksmittel im Grunde auf einer Kollektivgewohnheit, oder, was auf dasselbe hinauskommt, auf der Konvention.“ 34

Als Beweis zieht er die Unterschiede in den Sprachen bzw. die Existenz unterschiedlicher Sprachen überhaupt heran. Das Signifikat „Pferd“ hat beispielsweise sowohl die Bezeichnung „horse“, als auch „cheval“, als auch „caballo“ etc., je nachdem in welchem Land man sich eben gerade befindet.

Das Wort „beliebig“ darf jedoch nicht zur Annahme verleiten die Bezeichnung hinge von einer freien Wahl des jeweiligen Sprechers ab, im Gegenteil „es soll besagen, dass [sie] unmotiviert ist, d.h. beliebig im Verhältnis zum Bezeichneten, mit welchem [sie] in Wirklichkeit keinerlei natürliche Zusammengehörigkeit hat.“35 Alles andere als beliebig ist hingegen dabei die Stellung des sprachlichen Zeichens innerhalb des konventionellen Systems Langue. Saussure veranschaulicht diesen Umstand, indem er das Zusammenspiel der sprachlichen Einzelheiten mit einer Partie Schach vergleicht. Die Schachfiguren haben keine Bedeutung aus sich heraus. Ihr Aussehen ist im Grunde beliebig.36 Der Springer könnte beispielsweise genauso gut durch eine Schnecke, eine Haselnuss, durch einen Fingerhut etc. ersetzt werden, ohne dass sich sein Wert innerhalb des Spiels verändern würde. Was den Figuren einzig ihre Bedeutung verleiht, ist ihre Differentialität zu den anderen Figuren. Gemäß dem unten dargestellten Schema bedingen sich auch die Zeichen innerhalb eines Sprachsystems gegenseitig.

34 Saussure, S.80 35 ebd.

36 vgl. Saussure, S.105

„Geltung und Wert des einen“ ergeben sich „nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des andern.“37 Dies bedeutet weitergedacht, dass die Bedeutung, die wir als Menschen erfassen, erleben oder ausdrücken ihre Bedeutung nicht in einer natürlichen Weise von einem Außen oder einer Substanz bezieht, sondern dass sie selbst ein Effekt aus der Differenz gegenüber anderen Systembestandteilen der Sprache ist.38 Unser Denken ist also immer nur sprachlich, es kann sich nur innerhalb der Grenzen der Sprache vollziehen.

„Das Denken für sich allein genommen ist wie eine Nebelwolke, in der nichts notwendigerweise begrenzt ist. Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen, und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in Erscheinung tritt.“39 Der Kulturtheoretiker und Soziologe Stuart Hall nennt Saussure hier in einem Zug mit Karl Marx und Sigmund Freud, wenn er von den „Drei großen Dezentrierungen“ des „Cartesianischen Subjekts“ in der Spätmoderne spricht. René Descartesʼ berühmter Ausspruch „Cogito ergo sum“ (Ich denke,

also bin ich) wird gemeinhin als „Ausgangspunkt neuzeitlichen Denkens“40 betrachtet. Das Subjekt erscheint dabei als „vollkommen zentriertes und vereinheitlichtes Individuum, das mit den Vermögen der Vernunft, des Bewusstseins und der Handlungsfähigkeit ausgestattet ist.“ 41 Die erste Dezentrierung dieses „Subjekts der Aufklärung“ erfolgt nach Hall durch Karl Marx. Er hatte mit seinem Argument, dass Menschen zwar Geschichte machen, aber unter Bedingungen auf die sie keinen Einfluss haben, die Prämissen der modernen Philosophie grundsätzlich erschüttert.42 Der 37 Saussure, S.136/137

38 vgl. Verweyst, S. 302

39 Saussure, S.133

40 Roger Behrens, Postmoderne, S.25

41 Stuart Hall, Rassismus und kulturelle Identität, S.181,S.189

42 vgl. Hall, S.67f., und Behrens, S.25

Psychoanalytiker Sigmund Freud hatte gezeigt, dass das „Ich nicht Herr im

eigenen Haus ist“ und damit das Konzept des vernünftigen Subjekts mit seiner „gesicherten und einheitlichen Identität“ 43 für obsolet erklärt.

Schließlich habe Ferdinand de Saussure die dritte Dezentrierung vorgenommen, indem er mit dem allgemein verankerten Verständnis gebrochen hat, dass, wenn wir sprechen, die Sprache sozusagen „aus uns heraus“ kommt.

6 METHODOLOGISCHE EINORDNUNG UND WIRKUNG Antoine Meillet, der Nachfolger Saussures in Genf hat einmal behauptet, dass jedes Jahrhundert die Grammatik seiner Philosophie habe.44 So kann

man sagen, dass Saussures Ansatz der synchronen, von der historischen

Entwicklung unabhängigen Sprachbetrachtung stark den mit um die Jahrhundertwende aufkommenden geistigen Strömungen verflochten war, die sich gegen die „extrem historische Wissenschaftsauffassung des Positivismus“ wandten.45 Insbesondere die Phänomenologie Edmund Husserls, „auf dessen Analyse des Zeichenbegriffs“ 46 Saussure sich bezog, und die Soziologie Émile Durkheims („Wesensbestimmug des Sozialen als außer- und überindividueller Wirklichkeit“ ) übten großen Einfluss auf ihn aus Trotzalledem handelt es sich beim „Cours de linguistique général“ um das Werk „eines höchst eigenständigen, ja oftmals einzelgängerischen Denkers“.47

Mit der im vorigen Abschnitt beschriebenen Arbitrarität des Zeichens und der differenzlogischen Bestimmung von Bedeutung gilt Ferdinand de Saussure als der wichtigste Vorläufer für den am Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden Strukturalismus. Seine Erkenntnisse haben bis in die

unterschiedlichsten Bereiche der Kultur- und Geisteswissenschaften gewirkt und zahlreiche Denker des 20. Jahrhunderts in ihren Werken beeinflusst.

43 Hall, S.194

44 vgl. Antoine Meillet, Linguistique Historique et Linguistique Générale, S. 8

45 Eberhard Hildenbrandt, S.8

46 http://soemz.euv-frankfurt-o.de/gast/kowi1/lerneinheit_1/kultsem1_3.html

47 Hildenbrandt, S.9

Darunter der Ethnologe Claude Lévi-Strauss, der Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes, der Semiotiker Roman Jakobson, und viele weitere.

Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan radikalisierte in den 50ʼer Jahren, unter Rückgriff auf die Semiologie Saussures, die Schriften von Sigmund Freud und erklärte: „Das Unbewusste ist strukturiert wie eine

Sprache“48.

In den 90ʼer Jahren entwickelte die feministische Philosophin Judith Butler

ihre Theorie der „Performativität der Geschlechter“, welche davon ausgeht, dass die Kategorie „Geschlecht“ das Produkt einer sozialen Konstruktion ist, und Geschlechtsidentitäten erst als Effekt von performativen Akten hervorgebracht werden.49 Durch die Geschlechtszuschreibung bei der Geburt

eines Kindes „Es ist ein Mädchen!“ werde das Kind gewissermaßen erst„mädchenhaft gemacht“50. Neben diesen Beispielen ist der Rückgriff auf die Saussureʼsche Zeichentheorie unter den verschiedenen Ausprägungen des

Poststrukturalismus oft die gemeinsame Basis, die eine starke Interdisziplinarität zwischen Philosophie, Soziologie und Psychoanalyse erlaubt.51 7 Persönliches Fazit Zu Beginn der Arbeit an dieser Hausarbeit hatte ich teilweise Schwierigkeiten mich tatsächlich auf Saussures Zeichentheorie und vorallem die Behauptung,

dass alles, was ich denke, bereits vorher durch die Sprache vorstrukturiert ist, einzulassen. Einige Probleme bereitete mir außerdem an manchen Stellen der Begriff der „Differenz“ (Wie kann es Differenzen geben wenn doch

nichts eine Substanz hat...?). Ich denke, dass ich aus der Beschäftigung mit dem Thema einige neue Erkenntnisse und Eindrücke gewinnen, Fragen entwickeln, und viele Verknüpfungen zu bereits Bekanntem herstellen konnte. In Bezug auf eine künstlerische Praxis finde ich die Zeichentheorie >von Ferdinand de Saussure aufgrund ihrer Radikalität und der fundamentalen Verunsicherung, die diese nach sich zieht, enorm interessant. Ein solcher 48 http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/methoden/lacan.htm

49 vgl. Martina Oster, Waltraud Ernst, und Marion Gerards, Performativität und

Performance, S.36

50 Judtith Butler, Körper von Gewicht, S.29

51 http://www.die-grenze.com/poststr_full.htm

Zustand der Verunsicherung könnte, glaube ich, auch insbesonders für die Rezeption von Kunst sehr förderlich sein. Inspiriert hat mich im Zuge der Recherche für diese Hausarbeit außerdem Jacques Derridas Suche nach Marxʼ Gespenstern bzw. sein darin verfolgter Ansatz „alle Selbstverständlichkeiten (und insgesamt alle Verständlichkeiten, Sinnzusammenhänge) eines Textes aufzusprengen und neu zusammenzubringen“52.

8 „Eidesstattliche Versicherung“ "Originalität gibtʼs sowieso nicht ! ", Helene Hegemann siehe auch :

Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Jannidis, Fotis (Hg.): Texte zur

Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000

Julia Kristeva (1972): Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In:

Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3:

Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II. Hrsg. v. Jens Ihwe.

Frankfurt/M., S. 345-375

52

Behrens, S.39

9 Literaturverzeichnis

Primärliteratur :

• De Saussure, Ferdinand : „Grundfragen der allgemeinen

Sprachwissenschaft“, hrsg. von Charles Bally und Albert Sechehaye

unter Mitwirkung von Albert Riedlinger, Walter de Gruyter & Co., 2.

Aufl., Berlin (1967)

Sekundärliteratur :

• Bachmann-Medick, Doris : „Cultural Turns“, Rowohlt Taschenbuch

Verlag, Reinbek bei Hamburg (2006)

• Behrens, Roger : „Postmoderne“, Europäische Verlagsanstalt, 2., korr.

Aufl., Hamburg (2008)

• Brown, Callum G. : „Postmodernism for Historians“, Pearson Educated

Limited, 1.Aufl., Great Britain (2005)

• Brügger, Nils und Vigsø, Orla : „Strukturalismus“, Wilhelm Fink Verlag

GmbH & Co. Verlags-KG, , 1.Aufl., Stuttgart (2008)

• Frank, Manfred : „Was ist Neostrukturalismus ?“, Suhrkamp, 1. Aufl.,

Frankfurt a.M. (1984)

• Hall, Stuart : „Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte

Schriften 2“, Argument Verlag, Hamburg (1994)

• Prechtl, Peter : „Saussure zur Einführung“, Junius Verlag GmbH, 1.

Aufl., Hamburg (1994)

• Hildenbrandt, Eberhard : „Versuch einer kritischen Analyse des Cours

de linguistique générale von Ferdinand de Saussure“, Marburg/Lahn

(1969)

• Roggenbruck, Simone : „Saussure und Derrida – Linguistik und

Philosophie“, Francke Verlag, Tübingen : Basel (1998)

• Scheerer, Thomas M. : „Ferdinand de Saussure – Rezeption und

Kritik “, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1980)

• Szemerényi, Oswald : „Richtungen der modernen

Sprachwissenschaft“, Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg

(1971)

• Teichmann, Gottfried : „Psychoanalyse und Sprache – Von Saussure

zu Lacan“, Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg (1983)

• Verweyst, Markus : „Das Begehren der Anerkennung“, Campus

Forschung, 1. Aufl., Berlin (2000)

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